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Teurer Blackout

vom 16. April 2014 in Kategorie: Pressemitteilung

Bereits im Vorfeld des Prozesses wurde der Tathergang durch ein anonym veröffentlichtes Video bekannt. Alle ZeugInnen und auch der Täter selbst bestätigten, dass es am Rande der Gegendemonstration zu einer Verfolgung von Gegendemonstranten durch Anhänger der NPD kam, denen wiederum weitere GegendemonstranInnen hinterher liefen, darunter auch der Nebenkläger. Dabei kam es zu dem Tritt durch Marcus Gutsche, infolge dessen der Betroffene zu Boden ging. Die körperlichen Folgeschäden halten bis heute an.

Marcus Gutsche ließ sich vor Gericht zu dem Tatvorwurf ein und gab an, als Fotograf vor Ort gewesen zu sein, um „Gegendemonstranten und die Gesamtsituation zu dokumentieren“. An die Verfolgung habe er sich zwar erinnern können, nicht jedoch an den Tritt selbst – das Adrenalin habe zu einem Blackout geführt, als er seine Freundin vor einer „schwarzen Wand“ aus Menschen beschützen wollte, die auf sie zugestürmt sei. Auch die 21-Jährige Partnerin des Angeklagten, die sich in unmittelbarer Nähe befand, gab an, sich an Details nicht zu erinnern und nicht gewusst zu haben, warum sie überhaupt über den Markt gelaufen ist.

Das Gericht schenkte den „nebulösen Aussagen“ und der Affekt-Behauptung keinen Glauben, wertete jedoch die Quasi-Einlassung und die Spontaneität der Tat trotz des festgestellten Vorsatzes als strafmildernd. Ein Antrag auf Schmerzensgeld wurde bewilligt, die Höhe jedoch noch nicht festgesetzt.

Der aus Berlin stammende Gutsche gilt als eine Schlüsselfigur der Greifswalder Neonaziszene und trat in der Vergangenheit vor allem durch so genannte „Anti-Antifa“-Aktivitäten in Erscheinung. Dazu gehören insbesondere Recherchen zu und die Einschüchterung von politischen GegnerInnen, weshalb dem Prozess breite Öffentlichkeit sicher war. Wie schon im Dezember wurde die Verhandlung von gut 80 Demonstrierenden begleitet, die vor dem Gerichtsgebäude warteten und Solidarität mit Betroffenen rechter Gewalt forderten. Trotz des großen Interesses wurde der Prozess, ohne genaue Angabe von Gründen, kurz zuvor in einen kleineren Verhandlungssaal verlegt.

„Es ist schon bedauerlich, dass auf reges öffentliches Interesse mit derartigen Kontrollmaßnahmen seitens der Behörden reagiert wird und sowohl Presse als auch UnterstützerInnen vom Zuschauen abgehalten werden“, so Robert Schiedewitz Mitarbeiter bei LOBBI. Auch der Beratungsnehmer bemängelt, dass die Begleitung durch die Opferberater in das ZeugInnenzimmer oder vor den Verhandlungssaal von der massiv vertretenen Polizei verhindert wurde.

Auch wenn die Solidaritätsbekundungen als wichtige Unterstützung wahrgenommen wurden, zeigte sich der Betroffene vor allem enttäuscht darüber, dass das Gericht im Urteil unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafe blieb und die politische Dimension der Tat kaum eine Rolle spielte. „Ich finde es zwar sehr gut, dass das Gericht bemüht war, sich an die Fakten zu halten und nicht den Aussagen des Täters zu verfallen, aber für mich bleiben viele Ungereimtheiten.“ Da die körperlichen und psychischen Folgeschäden am gestrigen Tag vom Gericht nicht abschließend festgehalten wurden, bleibt dem Betroffenen jetzt nur übrig, zur Festsetzung der Höhe des Schmerzensgeldes weiter den zivilrechtlichen Weg zu gehen. „Endlich mit der Sache abschließen zu können, war eigentlich mein Hauptwunsch, aber nun ist es leider doch noch nicht vorbei“, sagte er nach dem Prozess.

Der Vorfall auf dem Markt war nicht der einzige rechte Übergriff in der Hansestadt, der im Zusammenhang mit dem Wahlkampf der NPD steht. Nur gut zwei Wochen nach der Attacke auf dem Markt wurde aus einem Plakatiertrupp der NPD heraus ein Wohnhaus in der Grimmer Straße angegriffen. Der Prozess gegen den mutmaßlichen Haupttäter, einen NPD-Stadtvertreter von der Insel Usedom, findet im Mai statt.
Außerdem ist eine Vielzahl von Sachbeschädigungen an den Wahlplakaten demokratischer Parteien bekannt, die sich der Neonaziszene zuordnen lassen. Marcus Gutsche und seine Partnerin sind auch hier wieder angeklagt, die Verhandlung soll am 28. April, ebenfalls vor dem Greifswalder Amtsgericht stattfinden.

 

Ergänzung: mittlerweile ist bekannt geworden, dass der Beschuldigte in Berufung gegangen ist. Somit kommt es aller Voraussicht nach zu einer neuerlichen Verhandlung, dann in höherer Instanz vor dem Landgericht.