Kein Schlussstrich unter die Aufarbeitung des NSU-Komplexes in Mecklenburg-Vorpommern!
vom 5. April 2024 in Kategorie: Pressemitteilung
Am kommenden Montag, dem 08. April, wird der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) im Schweriner Landtag voraussichtlich zum letzten Mal eine Sachverständige zum Themenkomplex „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) hören. In der bisherigen Arbeit des Ausschusses konnten verschiedene Aspekte zu den Aktivitäten des neonazistischen Terrornetzwerks und zum behördlichen Umgang mit diesem beleuchtet werden. Von einer umfassenden Aufklärung kann allerdings keine Rede sein. Auf viele Fragen gibt es noch immer keine zufriedenstellenden Antworten. Doch gerade darauf warten vor allem die Betroffenen der bundesweiten rassistischen Mordserie und der weiteren Straftaten des NSU bis heute.
„Wir glauben, dass der NSU Helfer vor Ort hatte. Wir glauben, dass der NSU größer ist, als bisher angenommen wird. Und wir hoffen, dass wir endlich Antworten auf diese Fragen bekommen.“ Mit diesen Sätzen machte Mustafa Turgut, Bruder des 2004 in Rostock ermordeten Mehmet Turgut, die Perspektive seiner Familie deutlich, als er im April 2021 vor dem ersten PUA zum NSU auftrat. Drei Jahre später und wenige Wochen nach dem 20. Todestag Mehmet Turguts gibt es auf diese und viele weitere Fragen noch immer keine Antworten. Die Mitglieder des Ausschusses werden nun voraussichtlich auch nicht weiter an diesen Antworten arbeiten.
„Ihre Aufgabe ist es nun, aus den erlangten Informationen Forderungen, vor allem zum behördlichen Umgang mit rassistischer Gewalt und den davon Betroffenen, abzuleiten. Doch bei Forderungen und Empfehlungen darf es nicht bleiben. Konkrete Maßnahmen müssen auf den Weg gebracht werden und vor allem ist deren Umsetzung zu kontrollieren. Denn bereits 2013 hat der 1. NSU Untersuchungsausschuss des Bundestages einen ausgiebigen Maßnahmenkatalog auf den Weg gebracht. Elf Jahre später sind viele dieser Maßnahmen noch immer nicht in alltägliches behördliches Agieren übersetzt worden.“, sagt Robert Schiedewitz von der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, LOBBI.
Solche Maßnahmen sollten auch umfassen, den Druck auf die Neonazi-Szene in Mecklenburg-Vorpommern zu erhöhen und die mutmaßlichen Unterstützer:innen und Mitwisser:innen des NSU, die in großen Teilen bis heute aktiv sind, nicht aus den Augen zu lassen. „Mord verjährt nicht!“, die Anklageerhebung gegen Susanne E. im Februar diesen Jahres erinnert daran.
Aber auch Zivilgesellschaft und Medien sind weiterhin gefragt, keinen Schlussstrich unter die Aufarbeitung des NSU-Komplexes zuzulassen. Ihre Recherchen und Analysen sind weiterhin genauso wichtig, wie eine konsequente Positionierung an der Seite der Betroffenen und Angehörigen. Deren Perspektiven und Forderungen ernst zu nehmen, das ist und bleibt die zentrale Lehre aus der bislang größten rassistischen Mordserie der bundesdeutschen Geschichte.
Daran wird am kommenden Montag wohl auch die Geschäftsführerin des „Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ (VBRG) erinnern, die abschließend vor dem Ausschuss gehört wird. Die Auswirkungen rechter und rassistischer Gewalt, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch ihre Angehörigen und Communities sind enorm und das behördliche Fehlverhalten nicht durch Beschlüsse und markige Pressemitteilungen überwunden.
Ein anderer Komplex, der genau dies unterstreicht, wird das nächste Thema des PUA im Schweriner Schloss sein: die Auseinandersetzung mit dem „Nordkreuz“-Netzwerk. Ab dem 15. April werden sich die Mitglieder des Ausschusses mit einer Gruppierung beschäftigen, die sich aktiv darauf vorbereitete an einem sogenannten „Tag X“ Menschen zu exekutieren, die als „Volksfeinde“ angesehen wurden.
Mit der Arbeit des PUA zum NSU wird sich auch eine Informations – und Diskussionsveranstaltung am 9. April um 19 Uhr im Schleswig-Holstein-Haus Schwerin unter dem Titel „Wer Gedenken will, muss aufklären – Zum Stand der Aufklärung des NSU in MV“ beschäftigen. Sie wird vom Schweriner Bildungsverein Was jetzt?“ e.V., dem BDP MV und der Initiative „Pro Bleiberecht“ organisiert.
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