Rassismus steht nicht zur Debatte – Urteil nach rassistischem Wohnungsüberfall in Greifswald
vom 4. November 2025 in Kategorie: Pressemitteilung
Bereits am vergangenen Donnerstag endete vor dem Amtsgericht Greifswald der Prozess gegen zwei Männer, die vor fast zwei Jahren eine Familie in ihrer Wohnung angegriffen hatten. Das Gericht verurteilte den 31-Jährigen Dustin B. wegen Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung sowie einer späteren Beleidigung und Bedrohung zu einem Jahr und sechs Monaten Haft ohne Bewährung. Der 24-Jährige Max G. kam ebenfalls wegen Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung sowie eines späteren Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte mit ebenfalls einem Jahr und sechs Monaten, allerdings für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, davon. Das von den Betroffenen und der Staatsanwaltschaft klar benannte rassistische Motiv, erkannte das Gericht nicht an.
Die Betroffenen, ein Ehepaar mit syrischen Wurzeln schilderten im Prozess eindrücklich, dass sie bis heute massiv unter den Folgen der Tat leiden. Sie berichten von anhaltender Angst in den eigenen vier Wänden, Schlafstörungen und Sorgen um die Sicherheit ihrer kleinen Kinder, die während des Angriffs schliefen.
Der damals 34-Jährige Vater berichtete außerdem von rassistischen Beleidigungen und dass ihre Wohnung offenbar aufgrund ihrer Herkunft ins Visier genommen wurde – wahrscheinlich, weil die Täter aufgrund des Namens an der Klingel davon ausgingen, dass die Familie nicht aus Deutschland stamme. Darauf entgegnete der Vorsitzende Richter: „Das steht jetzt nicht zur Debatte“, und ermahnte den Mann, er solle sehr vorsichtig sein, was er behaupte und welche Schlussfolgerungen er zöge. Davon, dass einer der Angeklagten in seiner Einlassung von dem Betroffenen nur als „der Ali“ sprach, blieb der Vorsitzende unbeeindruckt.
Zum Hintergrund der Tat: In der Nacht zum 17. November 2023 hatten die beiden bisher vor allem wegen Diebstahlvergehen und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz juristisch in Erscheinung getretenen Männer nach eigenen Angaben zunächst Alkohol am Greifswalder Hafen konsumiert und sich anschließend in einen Hausaufgang der Innenstadt gesetzt. Gemäß der Aussagen der Betroffenen klopften sie dann an die Wohnungstür der vierköpfigen Familie. Dabei riefen sie die Namen der Bewohner:innen und schlugen mit Gegenständen gegen die Glasscheibe in der Tür, die sie schließlich mit Gewalt eindrückten. Die heute 37-jährige Frau wurde dabei getroffen und erlitt eine stark blutende Kopfverletzung.
Nachdem die Angreifer in die Wohnung eingedrungen waren, attackierte einer der beiden den Wohnungsinhaber so, dass dieser an Bein und Hand verletzt wurde. Im Anschluss verwüsteten sie den Flur der Wohnung, warfen Gegenstände, darunter einen Hammer umher und flüchteten erst, als sie mitbekamen, dass die Frau die Polizei verständigte.
Diese traf die beiden später in einem Krankenhaus an, weil der damals 22-jährige Täter dort eine Schnittverletzung behandeln lassen musste, die er sich sehr wahrscheinlich beim Angriff zuzog – dabei leistete er Widerstand gegen die anwesenden Polizeibeamten. Der ältere Täter pöbelte dort derweil einen weiteren Mann an und drohte ihm.
In der Wohnung konnten Blutspuren mit DNA eines der Angreifer sichergestellt werden.
Der Prozess verdeutlichte nicht nur die körperliche Gewalt, sondern vor allem die schwere deren psychischer Folgen, die die Betroffenen bis heute – fast zwei Jahre nach der Tat – alltäglich begleitet. Der Angriff erschütterte damals viele Menschen in der Hansestadt und trieb mehr als Tausend Menschen zu einer Demonstration gegen Rassismus auf die Straße. Auch Oberbürgermeister Fassbinder verurteilte die Tat und mahnte, dass zunehmende rassistische Hetze zur Gewalt anstifte.
Die Staatsanwaltschaft und auch die Nebenklagevertreterin verdeutlichten die rassistischen Hintergründe der Tat, das Gericht bezeichnete sie in der Urteilsverkündung als nicht nachweisbar.
Die juristische Würdigung rassistischer Motive mag eine eigene Beweisführung erforderlich und Urteile potenziell anfechtbar machen, weshalb eine Anwendung der Regelung zur Strafschärfung von „rassistischen, fremdenfeindliche […] oder sonstigen menschenverachtende” Beweggründe (§46 Abs 2 StGB) unattraktiv für Gerichte macht. Doch die aktive Infragestellung des Motivs und die Abkanzelung der Betroffenenperspektive wirkt wie allerdings eine Verweigerung, die einen bitteren Beigeschmack hinterlässt. Die Nichtanerkennung verstärkt das Gefühl von Unsicherheit und Ausgrenzung bei den Betroffenen.
Gegen das Urteil können binnen einer Woche die Rechtsmittel der Berufung oder Revision eingelegt werden.