Ratgeber
Welche Rechte und Möglichkeiten haben Opfer rechtsextremer Gewalt, wie können sie sie durchsetzen? Nur die wenigsten Betroffenen haben Vorerfahrungen mit dem deutschen Rechtssystem. Oft fühlen sie sich mit ihren Ängsten und Fragen alleingelassen. Viele wissen sicher, dass der Angriff in Deutschland als eine Straftat gilt, als ein Verstoß gegen geltendes Recht und gesellschaftliche Normen. Und dass es daher die gesetzliche Aufgabe von Behörden wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten ist, diese Verletzung der Rechtsnorm zu verfolgen und die Täter
zu bestrafen. Aber sie sind unsicher, was dies für sie bedeutet und welche Möglichkeiten sich für sie daraus ergeben.
Die Broschüre “Perspektiven nach einem rassistischen Angriff” der ostdeutschen Beratungsstellen soll den Betroffenen konkrete Hinweise darauf geben, was sie nach einem rassistischen Angriff selbst tun können und welche Rechte und Möglichkeiten sie haben. Eine Broschüre ersetzt keine persönliche Anteilnahme und individuelle Beratung. Sie kann nur ein Hilfsmittel zur eigenen ersten Orientierung sein.
Sie sind Zeug*in eines Angriffs geworden?
Was ist zu tun?
1.1 Unterstützung organisieren
1.2 Dokumentation von Verletzungen und Schäden
1.3 Gedächtnisprotokoll
- Ort, Datum und Uhrzeit des Angriffs
- Zeitlicher Verlauf der Eskalation: Wann begann der erste Kontakt mit den Täter*innen? Wer hat wann was getan?
- Räumlicher Verlauf der Eskalation: Von wo kamen die Täter*innen? Wie waren sie beim Angriff positioniert? Von wo kamen Tritte oder Schläge? Welche Schläge oder Tritte können welchen Angreifenden zugeordnet werden?
- Was sagten die Angreifenden genau?
- Die Täter*innen: Kleidung, Schuhe, Haarfarbe, Größe, Tätowierungen, Alter, Waffen, Aufnäher, Auffälligkeiten der Sprache, Alkoholisierung
- Mögliche Zeug*innen
1.4 Strafanzeige
1.5 Strafantrag
1.6 Strafanzeige stellen oder nicht?
- Rechten Gewalttäter*innen sollten klare Grenzen gesetzt werden. Dass Menschen als minderwertig angesehen und deshalb geschlagen und getreten werden, darf nicht hingenommen werden.
- Es ist in der Regel nicht erfolgversprechend, auf eine Anzeige zu verzichten, um weiterer Gewalt vorzubeugen. Wenn gewaltbereite Rechte ein Opfer gefunden haben, das sich nicht wehrt und keine Anzeige stellt, könnten sie sich sogar zu weiteren Gewalttaten ermutigt fühlen.
- Eine Anzeige ist eine deutliche Botschaft an die TäterInnen und ihr Umfeld. Es zeigt ihnen, dass sich Betroffene nicht einschüchtern lassen. Eine Verurteilung vor Gericht ist ein weiteres Signal, das am wirkungsvollsten ist, wenn die Tat nicht allein von der Justiz, sondern auch gesellschaftlich verurteilt wird.
- Eine Anzeige löst weder die individuellen Probleme der Opfer, noch hebt sie die gesellschaftlichen Gründe rechter Gewalt auf. Die Anzeige aber ist ein erster Schritt, um in die Opferrolle zu verlassen und als aktive Person die Gewalttat aufzuarbeiten.
- Eine Anzeige erleichtert den Erhalt einer finanziellen Entschädigung.
- Erst mit einer Anzeige findet ein Angriff Eingang in die Polizeistatistik. Es ist wichtig, dass Gewalttaten dokumentiert werden, damit sie wahrgenommen werden können. Denn viele Menschen unterschätzen das Ausmaß rechter Gewalt.
- z.B. aus Angst vor weiterer Bedrohung und möglichen Racheaktionen aus dem rechten Umfeld der Täter*innen;
- wegen einer skeptischen oder ablehnenden Haltung gegenüber staatlichen Behörden und der Ansicht, dass die Ermittlungsbehörden entsprechende Vorfälle nicht ernst nehmen;
- aus Resignation und Gleichgültigkeit
Wenn die Täter*innen eines rechten Angriffs ermittelt werden können, kommt es in den meisten Fällen zu einem Strafverfahren. Für die Angegriffenen, die in einem solchen Verfahren Zeug*innen sind, stellen sich dabei oft viele Fragen. Im Folgenden soll ein grober Überblick über die juristischen Folgen eines Angriffs gegeben werden. Dabei kann es im Einzelfall durchaus zu Unterschieden kommen. Wenn Sie von einem rechten Angriff betroffen sind, unterstützt die LOBBI Sie auch während des Strafverfahrens. Melden Sie sich bei uns.
2.1 Das Strafverfahren
Wenn Polizei oder Staatsanwaltschaft durch Ihre Strafanzeige oder auf anderem Weg – zum Beispiel aus den Medien – von der Tat erfahren, wird ein Strafverfahren eröffnet. Das Ziel des Strafverfahrens ist die Ermittlung und gegebenenfalls Verurteilung einer strafbaren Handlung. Das Strafverfahren gliedert sich in Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren. Das gesamte Verfahren kann unter Umständen sehr lange verlaufen und ist für Sie als Betroffene oft wenig transparent. Hier können Ihnen gegebenenfalls Rechtsanwält*innen oder auch die LOBB helfen.
Ein Ermittlungsverfahren beginnt mit dem Verdacht auf das Vorliegen einer strafbaren Handlung. Zuständig sind Polizei und Staatsanwaltschaft. Erfahren sie von einer möglicherweise strafbaren Handlung durch Anzeige oder erlangen von Amts wegen Kenntnis von zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten, dann müssen sie wegen verfolgbarer Straftaten die Ermittlungen aufnehmen. Das heißt, sie haben potentielle Zeug*innen zu vernehmen und Beweise zu sichern. Das erledigt zunächst die Polizei. Glaubt diese, die Ermittlungen abgeschlossen zu haben, übergibt sie die Akten der Staatsanwaltschaft. Sieht die Staatsanwaltschaft noch weiteren Ermittlungsbedarf, kann sie eigene Ermittlungsansätze verfolgen, bei Gericht Zwangsmaßnahmen beantragen oder die Polizei anweisen, weiter zu ermitteln. Hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen abgeschlossen, entscheidet sie, ob sie das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts einstellt, aus Opportunitätsgründen einstellt oder öffentliche Klage bei dem für die Sache zuständigen Gericht erhebt. Gründe für eine Einstellung können sein, dass Täter*innen nicht ermittelt wurden, die Beweislage zu unklar ist oder – unter bestimmten Voraussetzungen – wenn eine außergerichtliche Einigung durch einen Täter-Opfer-Ausgleich erfolgreich verlaufen ist.
Die Staatsanwaltschaft kann außerdem ein beschleunigtes Verfahren, etwa wenn die Sachlage eindeutig ist und es sich um ein minderschweres Delikt handelt, sowie den Erlass eines Strafbefehls beim zuständigen Gericht beantragen. Sind mit der Anklage die Akten beim Gericht angelangt, entscheidet dieses im Zwischenverfahren, ob die Anklage Aussicht auf Erfolg hat und eröffnet dann per Beschluss das Hauptverfahren. Sogleich bestimmt das Gericht den Termin für die Gerichtsverhandlung und lädt unter anderem die Zeug*innen.
Wenn der Tag der Gerichtsverhandlung gekommen ist, ist Nervosität ganz normal. Die Erinnerungen an den Angriff kommen wieder hoch – damit auch die Angst und die Ohnmachtsgefühle. Die Betroffenen sitzen den Menschen gegenüber, von denen sie aus Hass angegriffen und misshandelt wurden. Wer sich vorher über den Ablauf der Verhandlung im Klaren ist, kann sich etwas besser auf die wichtigen Stellen konzentrieren. Die Raumaufteilung in einem Gerichtssaal ist immer gleich. In der Mitte des Saales befindet sich ein Tisch mit einem Stuhl als Platz für die Zeug*innen oder andere Personen, die während der Verhandlung befragt werden. Gegenüber von diesem Platz sitzen die Richter*innen. Je nach Schwere des Falles kann es sein, dass nur ein*e Richter*in die Verhandlung führt oder sich das Gericht aus mehreren – bis zu fünf – Richter*innen und Schöff*innen zusammensetzt. Neben den Richter*innen ist der Platz für Protokollierende. Im Rücken des Platzes für die Zeug*innen sind die Reihen für die Zuschauenden. Rechts vom Zeug*innenstand befinden sich die Tische für die Angeklagten und deren Verteidiger*innen. Links im Raum nimmt die Vertretung der Staatsanwaltschaft Platz. Unmittelbar daneben dürfen – wenn eine Nebenklage zugelassen worden ist – Betroffene als Nebenkläger*innen mit ihren Anwält*innen sitzen. Es ist aber sinnvoll, wenn die Betroffenen solange, bis sie selbst als Zeug*in ausgesagt haben, von diesem Recht keinen Gebrauch machen und außerhalb des Saales warten.
Ohne Nebenklage wird die betroffene Person als Zeug*in in den Saal zur Vernehmung gerufen und darf anschließend im Zuschauer*innenraum Platz nehmen. Wenn die Verhandlung öffentlich ist, dürfen Zuschauer*innen als Nichtbeteiligte am Verfahren die Verhandlung verfolgen, ansonsten nicht.
Im Zuschauer*innenbereich sitzen meist die begleitenden Opferberater*innen, Journalist*innen sowie andere Interessierte. Freund*innen der betroffenen Person haben also die Möglichkeit, diese zu begleiten und zu unterstützen. Auch wenn sie sich ruhig verhalten müssen, hilft es den Betroffenen meist sehr, bekannte Gesichter im Saal zu sehen. Dies ist vor allem wichtig, wenn auch Freund*innen der Täter*innen im Publikum sitzen.
In den Ermittlungsakten finden sich die Vernehmungsprotokolle sowie weitere Ermittlungsergebnisse der Polizei. All diese Informationen können als Grundlage für Vernehmungen vor Gericht verwendet werden.
Für die Verurteilung ist aber nur relevant, was in der mündlichen Verhandlung erwähnt wird. Die Vernehmungen sind anstrengend, weil neben den Richter*innen auch Staatsanwält*innen, Nebenklagevertreter*innen und Verteidiger*innen Fragen stellen. Davon sollte man sich nicht irritieren lassen. Die Betroffenen sollten sich auch nicht davon ablenken lassen, bei der Zeug*innenvernehmung dicht bei den Angeklagten zu sitzen. Am besten, man konzentriert sich auf die Richter*innen.
Als erstes wird meist die angeklagte Person zu den persönlichen Verhältnissen und zur Sache vernommen. Danach ist die betroffene Person an der Reihe, gefolgt von den restlichen Zeug*innen, die vor ihrer Vernehmung vor der Tür warten müssen.
Nach dem Abschluss der Beweiserhebung folgen die Plädoyers. Zuerst trägt die Staatsanwaltschaft ihre Sicht auf den verhandelten Sachverhalt vor und fordert ein Strafmaß. Hat die betroffene Person eine*n Nebenklagevertreter*in, dann hat sie oder er als nächstes die Möglichkeit, ein Plädoyer zu halten und ein Strafmaß zu fordern. Danach ist die Verteidigung der Angeklagten an der Reihe. Abschließend haben die Angeklagten »das letzte Wort«, das sie meist nutzen, um ihre Unschuld zu beteuern oder, im Falle eines Geständnisses, sich bei den Betroffenen zu entschuldigen.
Danach zieht sich das Gericht zur Beratung über das Urteil zurück. Nach der Urteilsverkündung erfolgt eine kurze mündliche Begründung durch das Gericht. Dann ist die Verhandlung geschlossen. Den Beteiligten bleibt die Möglichkeit, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen.
Die Angeklagten verweigern häufig die Aussage. Aufgabe des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage ist es dann, durch Befragung der Betroffenen und weiterer Zeug*innen den Tathergang zu klären, damit das Gericht ein Urteil über die Schuld der Täter*innen fällen kann. Das zieht lange Befragungen nach sich.
Wenn die Täter*innen am Anfang ihre Unschuld beteuern, kommt es sehr auf die Glaubhaftigkeit der belastenden Aussagen an. In diesem Fall wird vor allem die Verteidigung versuchen, Belastungszeug*innen als unglaubwürdig darzustellen, in dem sie Widersprüche in den Aussagen sucht. Die Aussagen vor Gericht werden immer wieder mit den polizeilichen Vernehmungen verglichen und können bei Widersprüchen den Zeug*innen vorgehalten werden.
Das Gericht soll in seiner Urteilsfindung abwägen, was für und was gegen die Angeklagten spricht. Strafmildernd wirkt sich im Allgemeinen ein Geständnis und eine Entschuldigung der Angeklagten aus, aber auch wenn die Angeklagten die Aussage verweigern, darf das nicht gegen sie verwendet werden. Zeug*innen allerdings sind an die Wahrheitspflicht gebunden. Wenn ihnen eine Falschaussage nachgewiesen werden kann, müssen sie mit einem Verfahren wegen Falschaussage, uneidlicher oder sogar beeideter, rechnen.
Eine Gerichtsverhandlung dauert in der Regel mehrere Stunden. Wenn wichtige Zeug*innen nicht erscheinen oder sich im Laufe der Verhandlung herausstellt, dass weitere Zeug*innen geladen werden müssen, wird die Verhandlung unterbrochen und an einem späteren Tag fortgesetzt. Für komplizierte Fälle mit vielen Zeug*innen werden gleich mehrere Verhandlungstage festgelegt.
Das Gericht kann auch immer wieder Pausen festlegen, um sich beispielsweise zur Beratung über die weitere Verfahrensweise zurückzuziehen oder den Beteiligten eine kurze Auszeit zu gönnen. Es empfiehlt sich, ausreichend Trinken und Essen dabei zu haben, um nicht irgendwann Konzentrationsschwierigkeiten zu bekommen.
Vor dem Prozess können die Anwält*innen und Opferberater*innen die betroffene Personund auf Wunsch auch Zeug*innen auf die Verhandlung vorbereiten.
2.2 Nebenklage: Aktive Beteiligung am Strafverfahren
Betroffene rechter Gewalttaten können im Strafverfahren gegen die Täter*innen eine aktive Rolle einnehmen, indem sie sich für eine Nebenklage entscheiden und durch Anwält*innen vertreten lassen. Tun sie dies nicht, werden sie lediglich als Zeug*innen gehört.
Um eine stärkere Beteiligung der Betroffenen am Strafverfahren zu ermöglichen, haben diese die Möglichkeit einer Nebenklage. Dabei werden sie zu einem mit besonderen Rechten ausgestatteten Verfahrensbeteiligten. Die Betroffenen können dies theoretisch alleine, aber es empfiehlt sich, Anwält*innen mit der Vertretung zu beauftragen. Die Rechtsanwält*innen der Betroffenen heißen Nebenklagevertreter*innen. Ein Antrag, sich einem Strafverfahren als Nebenkläger*in anschließen zu wollen, kann jederzeit gestellt werden. Dieser wird aber erst entschieden, wenn das Verfahren zu Gericht gelangt ist und dieses die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen hat. Anwält*innen haben dann die Möglichkeit, Akteneinsicht zu nehmen und Anträge zu den Ermittlungen zu stellen.
Während der Gerichtsverhandlung vertritt die Nebenklage die Interessen der Betroffenen. Nebenklagevertreter*innen können Beweisanträge stellen, Fragen an die Angeklagten und die betroffene Person richten, sowie Sachverständige und auch Richter*innen ablehnen. Sie können die Betroffenen vor unzulässigen oder beleidigenden Fragen der Verteidiger*innen der Angeklagten schützen. Betroffene haben zudem die Möglichkeit, durch Anwält*innen Stellungnahmen mitteilen lassen und selbst Fragen an Angeklagte oder Zeug*innen zu stellen.
Normalerweise werden Opferzeug*innen erst nach der Vernehmung der Angeklagten in den Gerichtssaal gelassen. Als Nebenkläger*in besteht die Möglichkeit, die Verhandlung von Anfang an zu verfolgen. Oft entscheiden sich die Nebenkläger*innen trotzdem, bis zur eigenen Zeugenaussage außerhalb des Gerichtssaales zu bleiben. Die eigene Aussage kann dadurch an Glaubhaftigkeit gewinnen, da sie ohne Kenntnis der Aussage der Täter*innen gemacht wird.
Zum Abschluss können Nebenklagevertreter*innen ein Plädoyer halten und – sollte dies als sinnvoll angesehen werden – ein Strafmaß fordern. Bei Nichtverurteilung der Angeklagten wegen eines nebenklagefähigen Deliktes können auch Rechtsmittel gegen ein Urteil eingelegt werden.
Eine Nebenklage ist bei allen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, aber auch Beleidigung möglich. Bei den Delikten Nötigung und Bedrohung ist eine Nebenklage nicht zulässig.
Keine Nebenklage ist möglich, wenn die Täter*innen unter 18 Jahre alt sind und deshalb das Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt. In Verfahren gegen Heranwachsende, in denen Jugendstrafrecht ebenfalls zur Anwendung kommt, ist eine Nebenklage möglich. Das gilt grundsätzlich auch in Verfahren, in denen Jugendliche und Heranwachsende angeklagt sind. Die Befugnisse einer Nebenklage sind aber auf den Verfahrensteil gegen die Heranwachsenden beschränkt.
Um eine Nebenklage erfolgreich zu führen, sollten Rechtsanwält*innen beauftragt werden, die erfahrene Nebenkläger*innenvertreter*innen sind und die sich mit rechtsmotivierten Straftaten auskennen. Die LOBBI kann Ihnen helfen, solche Anwält*innen zu finden.
Rechte Gewalt ist ein politisches Problem. Die Betroffenen werden angegriffen, weil sie von den Täter*innen als Repräsentanten von Gruppen, Lebensweisen, politischen Vorstellungen … angesehen werden, denen die Existenzberechtigung abgesprochen wird. Deshalb ist es notwendig, nicht nur juristisch, sondern auch politisch gegen die Täter*innen und eine etwaige gesellschaftliche Unterstützung ihrer Taten vorzugehen. Einige, nicht abschließende Bemerkungen dazu finden Sie im Folgenden.
3.1 Gesellschaftliche Solidarität ist entscheidend
Betroffene rechter Gewalt sind sensibel für die Reaktionen ihres sozialen Umfeldes. Bleiben Anteilnahme und Hilfe aus, fühlen sie sich schnell alleine gelassen. Die Solidarität der Gesellschaft und die Ächtung der Gewalttat sind für die Verarbeitung der Folgen eines Angriffs wichtige Voraussetzungen. Ein Angriff wird als besonders schlimm erlebt, wenn Passant*innen oder die Polizei dem Geschehen beiwohnen ohne einzugreifen. Ddie Betroffenen müssen dann davon ausgehen, dass die Zeug*innen die Gewalt billigen oder gar unterstützen. Besonders von Rassismus Betroffene, die schon zuvor Diskriminierung durch normale Bürger*innen erlitten haben, neigen dazu, einen Angriff nicht als Ausnahmehandlung, sondern als gewaltsame Zuspitzung gesellschaftlicher Ablehnung einzuordnen.
Nach dem Angriff erwarten die Betroffenen ungeteilte Solidarität, denn nichts kann die erlittene Gewalt rechtfertigen. Nicht selten aber wird die Gewalt bagatellisiert oder verdrängt. Im schlimmsten Fall müssen die Betroffenen erleben, wie ihnen von ihrem sozialen Umfeld und Autoritäten – Eltern, Lehrer*innen, Bürgermeister*innen – eine Mitschuld unterstellt wird. So kann ihnen vorgehalten werden, dass sie sich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort aufgehalten oder dass sie die Gewalt durch ihre Erscheinung provoziert hätten. Das ist häufig bei politisch aktiven Jugendlichen oder Punks der Fall. Besonders verbreitet ist es, dass rechte Angriffe als Auseinandersetzungen zwischen Jugendgruppen banalisiert werden.
Die Solidarität mit den Betroffenen ist zugleich ein notwendiges Signal an die Täter*innen. Denn diese zeigen häufig keinerlei Unrechtsempfinden, selbst wenn sie vom Staat verfolgt und verurteilt werden. Ihnen muss auch von der Gesellschaft deutlich gemacht werden, dass ihre Taten keinerlei Unterstützung finden. Denn die Täter*innen fühlen sich durch abfällige Äußerungen über Minderheiten in ihrer sozialen Umgebung und menschenfeindliche Diskurse in der Politik und den Medien legitimiert, als »Vollstrecker des Volksempfindens« aufzutreten.
3.2 Öffentlichkeitsarbeit
Rechte Gewalt ist ein brisantes Thema. Daher sind die Medien an einer Berichterstattung über rechte Gewalttaten und die Situation von Betroffenen interessiert. Oft, aber nicht immer sind die Berichte positiv. Eine Zusammenarbeit mit Medien sollte gut überlegt und abgesprochen werden.
Nach einem Angriff oder in Zusammenhang mit einem Gerichtsprozess sehen sich Betroffene oft mit Berichten oder Anfragen von Journalist*innen konfrontiert. Viele Betroffene haben den Wunsch, ihre Sicht der Dinge in der Öffentlichkeit darzustellen. Die Medienberichterstattung kann aber auch als unerwünscht und belastend empfunden werden.
Es sollte in Ruhe abgewogen werden, welchem Medium zu welchen Zeitpunkt und zu welchem Zweck ein Interview gegeben wird. Dies gilt besonders während eines noch laufenden Ermittlungsverfahrens. Öffentliche Äußerungen können sich – negativ oder positiv – auf den Prozessverlauf auswirken. Es ist sehr wichtig, solche Fragen mit Nebenklagevertreter*innen abzustimmen. Manchmal kann es auch sinnvoll sein, die beauftragten Rechtsanwält*innen zu bitten, Medienanfragen zu bearbeiten. Von einer Zusammenarbeit mit unseriösen Boulevardmedien und auf reißerische Berichterstattung getrimmten TV-Magazinsendungen rät die LOBBI ab. Wenn Sie an Öffentlichkeitsarbeit zu Ihrem Fall interessiert sind, kann die LOBBI Sie beraten und unterstützen.
3.3 Zusammenarbeit mit UnterstützerInnen
Antifa-Gruppen und Jugendinitiativen, kommunale Bündnisse gegen Rechts und Politiker*innen sind potenzielle Ansprechpartner*innen, die in der Lage sein können, solidarische Prozesse mit Betroffenen rechter Gewalt zu organisieren. Wenn ein Interesse besteht, versuchen wir den Kontakt zwischen Betroffenen und aktiven möglichen Unterstützenden herzustellen und beraten diese auch über den Umgang mit eventuell auftretenden Interessenkonflikten.
3.4 Bündnisse gegen Rechts
In einem Teil der Brandenburger Kommunen haben sich Menschen in Netzwerken zusammengeschlossen, um Rechtsextremismus entgegen zu treten. Jedes dieser Bündnisse hat seine eigene Geschichte und besteht aus unterschiedlichen Individuen. Oft sind sie breit angelegt und vereinigen eine Vielzahl unterschiedliche Interessen. Der kleinste gemeinsame Nenner ist oft, rechte Aktivitäten zurückdrängen zu wollen, damit die Kommune nicht in Verruf gerät. Oft wurden diese Bündnisse anlässlich rechter Gewalttaten ins Leben gerufen. Daher werden sie fast immer bereit sein, Betroffene zu unterstützen.
3.5 Politiker*innen
Bürgermeister*innen, Stadtverordnete, Gemeinde- und Landräte sowie Abgeordnete haben Möglichkeiten, sich für Betroffene rechter Gewalt einzusetzen. Aber Politiker*innen sind häufig überfordert, wenn sie konkret mit Fällen von Betroffenen rechter Gewalt konfrontiert werden. Sie haben keine Zeit; ihr Beruf bringt es zudem mit sich, dass sie sich mit einer Vielzahl von Themen zu beschäftigen haben. Dazu denken sie eher in abstrakten Strukturen als auf der Ebene eines persönlichen Schicksals.
Gespräche mit Politiker*innen sollten daher gut vorbereitet werden. Unterstützer*innen können dabei helfen, die Termine vorzustrukturieren und die politischen Funktionsträger*innen auf die Situation vorzubereiten. Grundsätzlich sollten Betroffene und Unterstützer*innen im Vorfeld konkrete Wünsche und Ziele formulieren, mit denen sie auf die Politiker*innen zugehen wollen. Auf diesem Weg kann ein unbefriedigend verbleibendes Gespräch ohne wirkliche Ergebnisse vermieden werden. Wenn Anfragen konkret gestellt und realistisch umsetzbar sind, können – und müssen – politische Funktionsträger*innen viel klarer äußern, was sie tun können und was nicht.
4.1 Körperliche Verletzungen
Wer durch einen Angriff Verletzungen erleidet, sollte sich zeitnah in ärztliche Behandlung begeben, auch wenn die Schäden gering scheinen, um Langzeitschäden vorzubeugen und um Verletzungen zu dokumentieren, die später für Strafverfahren und Entschädigungen Bedeutung haben werden.
Den meisten Menschen wird es als Selbstverständlichkeit erscheinen, sich bei Verletzungen in ärztliche Behandlung zu begeben. Doch ein rechter Angriff stellt ein unerwartetes und bedrohliches Ereignis dar. Die betroffene Person kann in einen Schockzustand versetzt werden, in dem Schmerzen und Verletzungen nicht richtig wahrgenommen werden. Wer körperlich angegriffen und verletzt wurde, sollte trotzdem unbedingt zügig Ärzt*innen aufsuchen; in der Nacht die Notaufnahme eines Krankenhauses.
In der Praxis bzw. Notaufnahme sollte darauf geachtet werden, dass alle Verletzungen erwähnt und attestiert werden. Einerseits muss ausgeschlossen werden, dass durch fehlende Behandlung Langzeitschäden entstehen. Andererseits ist eine umfassende Dokumentation als Beweismittel für ein mögliches Strafverfahren, für die Klage oder Antragstellung auf Schmerzensgeld sowie für die Anträge auf Versorgungsleistungen von großer Bedeutung. Für die Dokumentation kann es zusätzlich sinnvoll sein, die äußerlich erkennbaren Verletzungen mit einem Fotoapparat festzuhalten.
Sollte die erste Behandlung, besonders in der Notaufnahme, als unzureichend wahrgenommen werden oder sollten am Folgetag weitere Beschwerden auftreten, sollte erneut medizinische Behandlung gesucht werden. Der Besuch bei Ärzt*innen des Vertrauens ist immer am besten.
Wenn der Eindruck entsteht, dass Ärzt*innen unvollständig diagnostizieren oder behandeln, sollte dies entweder direkt angesprochen oder aber eine andere Praxis aufgesucht werden. Sollten Sie den Eindruck haben, dass Sie von Ärzt*innen unangemessen oder diskriminierend behandelt werden, können Sie sich an die LOBBI wenden, wir unterstützen Sie in derartigen Fällen.
Eingeschränkte Sprachkenntnisse und daraus folgende Missverständnisse können die Kommunikation mit den Ärzt*innen erschweren. In diesen Fällen kann eine übersetzende Person sehr hilfreich sein. Wenn es keine Bekannten gibt, die diese Aufgabe übernehmen können, dann kann der Fachdienst Zuwanderung, Integration und Toleranz in Brandenburg (FaZIT) kostenlose Dolmetschende für den Gesundheitsbereich vermitteln. Auch Flüchtlingsberatungsstellen und die LOBBI können Dolmetschende vermitteln.
4.2 Psychische Folgen
Unabhängig von der Schwere körperlicher Verletzungen kann ein Angriff psychische Auswirkungen haben, die zu einer starken Belastung für die Betroffenen werden können. In den Wochen nach einem Angriff kann es sein, dass Betroffene unter Schlafstörungen und Albträumen leiden, in denen sie das Erlebte wiederholt durchleben. Denn nicht selten bedeutet die Gewalterfahrung für Betroffene und nahestehende Personen einen radikalen Einschnitt in das bisherige Leben.
Die Wirkung eines Angriffs auf die betroffene Person kann von Außenstehenden besser nachvollzogen werden, wenn sich vergegenwärtigt wird, dass rechte Gewalt oft als Zuspitzung einer alltäglichen Diskriminierung empfunden werden kann. Das gilt insbesondere bei Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Das Erlebnis eines Angriffs führt dazu, dass nachfolgend jede rassistische Beleidigung oder Diskriminierung, jeder hasserfüllte Blick ein ganz anderes Bedrohungspotenzial enthält und entsprechende Angstgefühle auslösen kann. Angehörige alternativer Jugendkulturen stoßen ebenfalls häufig auf wenig Verständnis können den Angriff als wiederholte Ablehnung erleben.
Während die körperlichen Verletzungen meist behandelt werden, werden die psychischen Verletzungen häufig verdrängt und nicht beachtet. Auf ein traumatisches Erlebnis reagiert jeder Mensch auf seine eigene Art und Weise. Trotzdem gibt es Beschwerden, die bei vielen gleich bzw. ähnlich sind. Psychische Belastungserscheinungen wie Schlafstörungen, Albträume und Angstanfälle sind zunächst normale Folgen eines Angriffes. Sie vergehen nach einiger Zeit, wenn die Psyche die Verletzung der persönlichen Integrität verarbeiten kann. Bleiben diese Symptome länger als einen Monat bestehen oder kommen neue hinzu, hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt. Verschiedene Begriffe werden gleichwertig verwendet: Posttraumatisches Belastungssyndrom, Posttraumatische Belastungsreaktion, Posttraumatisches Stresssyndrom (PTS) und Post-Traumatic Stress Disorder (PTSD).
Die PTBS ist eine mögliche Folgereaktion auf ein extrem belastendes Ereignis, welches außerhalb der normalen Erlebniswelt der meisten Menschen liegt. Die Betroffenen haben die Erfahrung von Todesbedrohung, Lebensgefahr oder Körperverletzung gemacht bzw. die Bedrohung der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder einer anderen Person erlebt. Diese Erfahrungen waren so schwerwiegend, dass die meisten Menschen mit ihrer Verarbeitung überfordert sind. Das traumatische Ereignis war geprägt von völliger Hilflosigkeit und dem Gefühl des Ausgeliefertseins, dadurch wurde das Selbst- und Weltverständnis stark erschüttert. Wenn das belastende Ereignis von Menschenhand ausgeführt wurde, wie es bei rechten Gewalttaten der Fall ist, ist der Verlust des Vertrauens in Mitmenschen in der Regel schwerwiegender und langfristiger.
Beim Auftreten einer PTBS müssen nicht alle Symptome vorhanden sein. Das wesentlichste Merkmal ist das ungewollte Wiedererleben von Aspekten des Traumas in Form von Albträumen oder quälenden Erinnerungen während des Tages. Es treten die gleichen sinnlichen Eindrücke (z.B. bestimmte Bilder, Geräusche, Geschmacksempfindungen, Körperwahrnehmungen), sowie gefühlsmäßige und körperliche Reaktionsweisen auf wie zum Zeitpunkt der traumatischen Erfahrung. Alles, was an das Trauma erinnert, wird als sehr belastend erlebt und deshalb unterdrückt und gemieden. Dies können bestimmte Orte oder Situationen sein, aber auch Gedanken, Bilder oder Aktivitäten.
Die emotionalen Reaktionen können sehr verschieden sein, sie reichen von panischer Angst, häufigen Stimmungsschwankungen, Hilflosigkeit, Zweifel, Ängstlichkeit bis hin zu Selbstvorwürfen, Schamgefühl, emotionaler Taubheit oder Suizidgedanken. Viele Betroffene verlieren das Interesse an Dingen, die ihnen früher wichtig waren und Freude bereiteten. Sie isolieren sich von ihrer Umwelt, haben ein erhöhtes Bedürfnis, die Umwelt oder Andere zu kontrollieren, sind unruhig und über-vorsichtig, zugleich auch leichter reizbar oder aggressiver als früher.
Sehr häufig treten Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten auf. Aber auch verschiedene körperliche Symptome sind bei einer PTBS häufig vorhanden, z.B. Schmerzen in verschiedenen Bereichen, Magen-/Darmprobleme, Schlafstörungen, Appetitstörungen, Herzrasen, Schwitzen, Schreckhaftigkeit sowie erhöhte Krankheitsanfälligkeit.
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist nach den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation als Krankheit (ICD-10) anerkannt und behandlungsbedürftig. Bei ausbleibender Behandlung besteht die Gefahr, dass sich die Posttraumatische Belastungsstörung chronifiziert. Dies um so eher, wenn bereits in der Vergangenheit traumatisierende Gewalterfahrungen gemacht wurden.
Bleibt eine solidarische Unterstützung aus, empfinden viele Betroffene, dass der rechte Angriff durch die Mehrheit der Gesellschaft legitimiert wurde. Damit wächst das Misstrauen gegenüber anderen Menschen. Wenn sich die Betroffenen durch das soziale Umfeld nicht verstanden fühlen, werden Rückzugstendenzen verstärkt. Wenn niemand weiß, welche Folgen die Traumatisierung haben kann, entstehen leicht Missverständnisse und Sprachlosigkeit. Es bedarf Sensibilität von Freund*innen und Angehörigen. Gleichzeitig sollte sich Betroffene Vertrauenspersonen gegenüber öffnen, um die Folgen eines Angriffs zu bewältigen.
In Gesprächen können Mitarbeitende der LOBBI helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Sie informieren über mögliche Folgen und seelische Auswirkungen eines rechten Angriffs. Wenn es gewünscht wird, können Betroffene mit Beratenden einen Hilfeplan ausarbeiten und Unterstützung bei der Umsetzung erhalten. Die LOBBI kann in eine Psychotherapie oder an andere Einrichtungen vermitteln. Der Verein Opferhilfe Brandenburg e.V. bietet therapeutische Gespräche an.
Auch bei der Beantragung und Durchsetzung finanzieller Hilfen kann die LOBBI behilflich sein. Die Therapiekosten werden in der Regel von der Krankenkasse übernommen. Sollten diese nicht zahlungspflichtig sein, kann ein Antrag beim zuständigen Versorgungsamt zur Finanzierung der Kosten gestellt werden. Der Weiße Ring kann Betroffenen zudem Beratungsschecks für eine posttraumatische Erstberatung zur Verfügung stellen.
Rechte Angriffe belasten die Betroffenen auch finanziell. Entstandene Schäden müssen ausgeglichen werden, gesundheitliche Folgen können sich finanziell bemerkbar machen, die Durchsetzung eigener Rechte kostet Geld. Im Folgenden stellen wir einige Möglichkeiten der Unterstützung vor, die Betroffenen wahrnehmen können. Wir beraten Sie zu allen hier vorgestellten Unterstützungsmöglichkeiten.
5.1 Schadensersatz und Schmerzensgeld
Wird eine Person durch einen Angriff körperlich verletzt, dann hat diese in der Regel Anspruch auf Schmerzensgeld und – soweit vorliegend – Ersatz weiterer Schäden. Ein Anspruch wird – gesondert vom Strafverfahren – mit einer Klage in einem Zivilverfahren geltend gemacht und muss anschließend gegen die Täter*innen durchgesetzt werden. Die Durchsetzung des Anspruchs kann langwierig sein und ist mit Risiken behaftet.
Es kann sinnvoll sein, zunächst eine strafrechtliche Verurteilung der Täter*innen abzuwarten. Denn die im Urteil des Strafgerichts enthaltenen Feststellungen zum Tatverlauf können helfen, einen Anspruch vor einem Zivilgericht zu begründen. Ein Anspruch, den man nicht geltend macht, verjährt nach drei Jahren.
Sollte eine Klage erfolgreich gewesen sein, erlangt die verletzte oder geschädigte Person mit dem Urteil des Zivilgerichts einen Rechtstitel, der gegen die Täter*innen vollstreckt werden muss, wenn diese nicht freiwillig zahlen. Die Täter*innen müssen auch die Verfahrenskosten sowie die Anwaltskosten beider Parteien bezahlen. Eine Vollstreckung scheitert aber häufig daran, dass die Täter*innen nicht zahlungsfähig sind, weil sie nicht über ausreichendes Einkommen oder über Vermögen verfügen. Auf den vorgestreckten Kosten für das Zivilverfahren und den Kosten für die eigene Anwältin bleibt man dann auch sitzen. Nur wenn sich die finanziellen Verhältnisse der Täter*innen verbessern, kommt man zu seinem Geld. Unterliegt man in einem Zivilverfahren, sind auch die Gerichtskosten und die Kosten des gegnerischen Anwalts zu bezahlen. Eine gute anwaltliche Beratung und Chancen-Nutzen-Abwägung ist deswegen sehr zu empfehlen.
5.2 Adhäsionsverfahren
Will man die gesonderte Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen in einem Zivilverfahren vermeiden, besteht für Verletzte einer Straftat oder ihren Erben die Möglichkeit, die vermögensrechtlichen Ansprüche schon im Strafverfahren geltend zu machen. Dies nennt man Adhäsionsverfahren. Es kann eine Erleichterung sein, denn das Warten auf den Zeitpunkt des Zivilverfahrens und vor allem das Kostenrisiko entfällt. Ein Antrag ist in der Hauptverhandlung zu stellen. Das Gericht entscheidet im Rahmen des strafrechtlichen Urteils auch über den zivilrechtlichen Anspruch, der im Adhäsionsantrag vorgetragen wird. Das Gericht kann von einer Entscheidung über den zivilrechtlichen Anspruch absehen, wenn es diesen für unberechtigt oder die Angeklagten für nicht schuldig hält. Nicht selten erklärt das Gericht den Antrag für ungeeignet zur Erledigung im Strafverfahren. In diesen Fällen kann die betroffene Person dann immer noch ein reguläres Zivilverfahren anstreben. Das Risiko, dass im Adhäsionsverfahren ein zu geringes Schmerzensgeld festgelegt wird, besteht ebenfalls. Die LOBBI berät deswegen über den jeweils günstigsten Weg, um zu Schadensersatz und Schmerzensgeld zu gelangen.
5.3 Anwalts- und Prozesskostenhilfen
Wenn die Angeklagten in einem Strafprozess verurteilt werden, müssen sie sämtliche Verfahrens- und Anwaltskosten tragen. Werden die Angeklagten freigesprochen und hat die betroffene Person im Strafverfahren eigene Kosten verursacht, sind diese unter Umständen selbst zu finanzieren. Kosten können bei der Beratung, der Vertretung durch Rechtsanwält*innen im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung entstehen. Zur Deckung der Kosten gibt es insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen unterschiedliche Antragsmöglichkeiten.
5.4 Finanzierung einer anwaltlichen Erstberatung
Der Weiße Ring, eine bundesweite Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, bietet Opfern von Straftaten Hilfe durch die Vergabe von sogenannten Beratungsschecks für eine kostenlose Erstberatung bei frei gewählten Anwält*innen. Betroffene müssen sich dazu an den örtlichen Verband der Opferschutzorganisation wenden. Die zuständigen Ansprechpersonen können über die Außenstellensuche auf der Internetseite der Bundesgeschäftsstelle ermittelt werden. Die Ansprechperson des Weißen Rings wird dann einen Gesprächstermin mit der betroffenen Person vereinbaren, um den Unterstützungsbedarf zu ermitteln. Mit einem Beratungscheck kann diese dann eine*n Anwält*in aufsuchen, die das erste Beratungsgespräch über den Weißen Ring abrechnen können.
Eine andere Möglichkeit, um die Finanzierung einer anwaltlichen Beratung zu sichern, ist die Beantragung einer Beratungshilfe beim Amtsgericht. Voraussetzung ist allerdings der Nachweis über ein geringfügiges Einkommen. Beratungshilfe bekommt, wer die Mittel nicht aufbringen kann und wem keine andere zumutbare Möglichkeit für eine Hilfe zur Verfügung steht. Maßgeblich sind die Nettoeinkünfte nach Abzug des eigenen Lebensbedarfs, Unterhaltsverpflichtungen, Kosten für Unterkunft und Heizung, sowie weiterer besonderer Belastungen.
Die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse müssen durch geeignete Dokumente – wie etwa eine Lohnbescheinigung – belegt werden. Im Falle eines Anspruchs erhält man einen Berechtigungsschein vom Amtsgericht, mit dem man bei Rechtsanwält*innen abrechnen kann. Für eine rechtliche Beratung ist ein Eigenbeitrag von zehn Euro zu entrichten.
5.5 Prozesskostenhilfe
Stellt sich nach einer rechtlichen Beratung heraus, dass gerichtliche Schritte sinnvoll sind, entstehen erhebliche Verfahrenskosten. Menschen mit geringem Einkommen können eine Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen. Als Prozesskostenhilfe bezeichnet man eine finanzielle Unterstützung für Menschen, die aus eigenen Mitteln einen Prozess nicht führen könnten. Sie wird insbesondere in Verfahren vor den Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichten gewährt; Betroffenen von Straftaten, die zur Nebenklage berechtigt sind, kann ebenfalls Prozesskostenhilfe gewährt werden. Prozesskostenhilfe gibt es jedoch nicht für die Verteidigung in einem Strafverfahren.
Neben der nachzuweisenden Bedürftigkeit in einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erfolgt eine gerichtliche Vorprüfung des Sachverhaltes, da nur bei ausreichender Erfolgsaussicht Hilfe gewährt wird. Bei einer Nebenklage werden nur die wirtschaftlichen Verhältnisse geprüft. Ferner darf die Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheinen, das heißt, eine verständigte Partei würde ihr Recht in gleicher Weise auch ohne Hilfe geltend machen.
Berechtigt ist, wer über 18 Jahre ist; gute Aussichten bestehen, wenn man sich im Studium oder einer Ausbildung befindet, Sozialhilfe bezieht oder nur sehr geringe Einkünfte hat und kein Vermögen besitzt.
Die Prozesskostenhilfe deckt nur die Kosten des Gerichtsverfahrens und des eigenen Anwalts; bei einem Unterliegen im Prozess sind dem Gegner die ihm entstandenen Kosten zu erstatten.
5.6 DAV-Stiftung contra Rechtsextremismus und Gewalt
Ist in einigen Fällen eine Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht möglich und sind Betroffene dennoch hilfebedürftig, können Anwält*innen die Übernahme der Kosten einer rechtlichen Vertretung beim Deutschen Anwaltverein (DAV) beantragen. Der DAV unterhält eine Stiftung, deren Ziel es ist, Betroffenen rechter Gewalt die Kosten für die Unterstützung durch Anwält*innen zu ersetzen. Auf diese Möglichkeit sollten Anwält*innen unbedingt aufmerksam gemacht werden.
5.7 Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz
Wer in Deutschland durch eine Gewalttat einen gesundheitlichen Schaden erlitten hat, kann nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) einen Finanzierungsanspruch für die gesundheitliche Versorgung geltend machen. Die Leistungen umfassen Kosten für Heil- und Krankenbehandlung sowie Hinterbliebenen- oder Beschädigtenrenten. Schäden an Brillen, Kontaktlinsen oder Zahnersatz werden finanziert, weitere »Sachschäden« allerdings nicht. Bei Erwerbsunfähigkeit nach einem Angriff werden verschiedene Leistungen wie Versorgungskrankengeld und Beihilfen gezahlt. Im Falle einer verminderten oder ausgefallenen Erwerbstätigkeit über ein halbes Jahr wird eine Rente gezahlt.
Einen Antrag können alle stellen, die Betroffene einer Körperverletzung, eines Brand- oder Sprengstoffanschlags geworden sind oder vorsätzlich vergiftet wurden. Auch wer die Verletzung bei der Abwehr eines Angriffs erlitten hat, ist anspruchsberechtigt. Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit und EU-Bürger*innen sowie Menschen, die sich »rechtmäßig« in Deutschland aufhalten, können Leistungen erhalten.
In wenigen Fällen sind Flüchtlinge aufgrund ihres kurzen oder unrechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland von einem Leistungsanspruch ausgeschlossen. Doch die Sachbearbeiter*innen haben einen relativ großen Ermessensspielraum. Deshalb sollte zunächst immer ein Antrag gestellt werden und bei einer Ablehnung eine kompetente Stelle befragt und evtl. Widerspruch eingelegt werden.
Voraussetzung für eine Antragstellung ist, dass eine Strafanzeige gegen die Täter*innen gestellt wurde. Bei Minderjährigen müssen die Eltern den Antrag stellen. Ein Formular dazu erhält man bei dem für die Region zuständigen Landesamt für Soziales und Versorgung. Dem Antrag, in dem unter anderem das Tatgeschehen darzulegen ist, sind ärztliche Atteste über die gesundheitlichen Schäden und Folgen beizufügen.
Der Antrag sollte möglichst innerhalb des ersten Jahres nach Tatzeit gestellt werden, da bei einer späteren Antragsstellung die Bedürftigkeit erneut geprüft wird. Außerdem wird bei einer Antragsstellung innerhalb des ersten Jahres die Leistung rückwirkend gezahlt. Doch auch ein späterer Antrag kann noch eine Leistungsberechtigung ergeben. Die LOBBI berät bei der Antragstellung.
5.8 Entschädigung durch das Bundesamt für Justiz
Seit dem 1. Januar 2007 verfügt das Bundesamt für Justiz über den vom Deutschen Bundestag eingerichteten Fonds, um Betroffene rechter Gewalt schnell und unbürokratisch zu entschädigen. Diese sind daher nicht darauf angewiesen, einen Schmerzensgeldanspruch durch eine Zivilklage gegen die Täter*innen geltend zu machen.
Wird eine Person durch einen Angriff körperlich verletzt, dann hat diese in der Regel Anspruch auf Schmerzensgeld. Aber dieser Anspruch muss in einem Zivilverfahren eingeklagt werden, das mit erheblichen Risiken verbunden ist.
Ein Antrag auf eine Billigkeitsentschädigung durch das Bundesamt für Justiz ist ein sicherer und leichterer Weg, um eine Entschädigung zu erhalten. Wird die Entschädigung gewährt, tritt die antragstellende Person ihren Schmerzensgeldanspruch gegenüber den Täter*innen in der Höhe der bewilligten Summe an das Bundesamt für Justiz ab. Dieses kann somit gegen die Täter*innen auf Zahlung des Betrages klagen. Es ist prinzipiell auch nach Gewährung einer Entschädigung möglich, im Wege einer eigenen Klage einen Anspruch auf Schmerzensgeld gegen die Täter*innen geltend zu machen. Sinnvoll ist dieser Weg indes nur, wenn man der wohlbegründeten Auffassung ist, eine höhere Summe erhalten zu können und bereit ist, das Kostenrisiko zu tragen.
Antragsberechtigt sind Personen, die durch rechtsmotivierte Gewalttaten gesundheitliche Schäden erlitten haben, Hinterbliebene von Todesopfern rechter Gewalttaten, sowie sogenannte Nothelfer*innen, also Personen, die bei der Abwehr eines rechten Angriffs auf Dritte verletzt wurden.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Antragstellung ist, dass die Straftat mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtsmotiviert war. Es ist nicht erforderlich, dass die Täter*innen bekannt sind oder ermittelt wurden.
Der Antrag muss eine präzise Schilderung des Vorfalls enthalten – mit Angaben zum Tatort, der Tatzeit und Hinweisen auf eine rechte Tatmotivation. Die erlittenen Verletzungen müssen ebenfalls deutlich dargestellt werden, dazu sollten Atteste und gegebenenfalls Arztrechnungen sowie Fotos äußerlich erkennbarer Verletzungen beigefügt werden. Mit der Antragstellung erteilt die geschädigte Person dem Bundesamt für Justiz die Einwilligung, Akteneinsicht bei Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht zu nehmen, um die Angaben zu überprüfen.
Ein Antrag kann unmittelbar nach der Tat gestellt werden. Unter Umständen ist es jedoch ratsam, ein Gerichtsverfahren abzuwarten. Dies gilt besonders, wenn erwartet werden kann, dass die rechte Tatmotivation vor Gericht stärker herausgearbeitet werden wird. Die Bearbeitungszeit hängt im Einzelfall vom Verlauf des Strafverfahrens ab, wobei einige Monate nach Antragstellung mit einer Entscheidung und Antwort gerechnet werden darf.
Die LOBBI berät bei der Antragstellung.
5.9 Unterstützung durch den Opferfonds Cura
Der Fonds bietet schnelle und unbürokratische Unterstützung für Betroffene rechter Gewalt – gerade bei notwendigen Maßnahmen und Kosten, die sonst niemand ersetzt. Eine Antragstellung ist bei der LOBBI möglich.
Der Opferfonds CURA hat zum Ziel, Betroffenen rechter Gewalt durch finanzielle Unterstützung nach dem Angriff zu helfen:
- bei medizinischen Behandlungen, die nicht durch eine Krankenversicherung gedeckt sind, insbesondere für Flüchtlinge,
- bei Maßnahmen, die nach Übergriffen helfen, wieder in den Alltag einzusteigen, zum Beispiel psychologische Betreuung,
- bei Anwaltskosten oder ähnlichen Folgekosten von Übergriffen,
- bei finanziell existenziellen Notsituationen,
- bei der Behebung von Sachschäden, die bei Übergriffen entstanden sind.
Der Antrag kann formlos bei der LOBBI oder direkt beim Opferfonds CURA gestellt werden. Er sollte eine Schilderung des Angriffs und seiner Folgen enthalten, sowie eine Darstellung der Hilfen, die zu finanzieren sind.