Risse in der “Volksfront von rechts”?
vom 1. September 2008 in Kategorie: Artikel
„Wer hat uns verraten? Nationaldemokraten!“
Passanten bietet sich am 03.Oktober in Stralsund ein merkwürdiges Schauspiel. Etwa dreihundert AnhöngerInnen der NPD demonstrieren für einen „Nationalen Sozialismus“ träge durch den Regen. Mit einigem Abstand folgt ihnen ein kleinerer Demonstrationszug. Schwarz gekleidet, Sonnenbrillen und Kapuzen aufgesetzt, teilweise mit Tüchern vermummt, Fäuste werden in die Luft gereckt die etwa 60 Mitglieder der Gruppe sind deutlich lauter und motivierter. GegendemonstrantInnen? Nein, ebenfalls Neonazis. „Wer hat uns verraten? Nationaldemokraten!“ skandieren die jugendlichen Rechten – auf einem Kapuzen-Pullover prangt der Schriftzug „Autonome Nationalisten“. Zwei Einheizer führen den Zug an. Sie geben die Parolen mit einem Megafon vor – gegen Israel, die Polizei und eben auch gegen die Nationaldemokraten.
„Pubertäres Bürgerschreckgehabe“
Das Etikett Autonome Nationalisten (AN) geben sich Teile der bundesdeutschen Kameradschaftsszene bereits seit 2002. Schwarzes, sportliches Outfit, Übernahme antifaschistischer Symbolik , englischsprachige Parolen auf Transparenten die Adaption linksautonomer Ästhetik ist das Markenzeichen dieser „neuen“ Neonazis. Neben ihrem Erscheinungsbild sorgen die AN vor allem mit ihrem gewalttätigen Auftreten für Aufmerksamkeit. Immer öfter erscheinen bei Aufmärschen sogenannte „schwarze Blöcke“, die versuchen Polizeiketten zu durchbrechen oder JournalistInnen und GegendemonstrantInnen anzugreifen. Ideologisch unterfüttert wird der neue Style nur selten – ein gemeinsames politisches Konzept der „autonomen“ Gruppen ist nicht zu erkennen. Die „schwarzen Blöcke“ sorgen schon länger für Auseinandersetzungen im rechten Spektrum. Während sich die AN im Gegensatz zur defensiven Parteirechten als kämpferische Alternative verstehen, wird ihr Agieren von anderen Neonazis als „pubertäres Bürgerschreckgehabe“ und „lächerlicher Mummenschanz“ abgetan. Vorläufiger Höhepunkt des Konfliktes ist eine Stellungnahme des NPD-Präsidiums vom August 2007. Unter der Überschrift „Unsere Fahnen sind schwarz – unsere Blöcke nicht!“ gab man bekannt, diese „Modeerscheinung“ nicht mehr dulden zu wollen – eine Demonstration sei schließlich kein „Faschingsball“. Offensichtlich macht man sich Gedanken um die Außenwirkung.
Zusammenarbeit und Unterordnung
Schwarze Reihen bei Aufmärschen in Mecklenburg-Vorpommern deuteten bis vor einigen Jahren auf die Teilnahme Berliner Kameradschaften hin. Im Februar 2005 traten dann Rostocker Neonazis bei einem Infostand in der Hansestadt und wenig später auch bei einem Aufmarsch in Bützow mit einem Transparent auf, dass eine vermummte Gestalt zeigte und mit „Autonome Nationalisten“ unterschrieben war. Dabei handelte es sich um Personen aus dem Umfeld der Gruppe Hatecrew 88, die aber seit zwei Jahren nicht mehr in Erscheinung tritt.
Erst seit diesem Jahr treten hiesige Neonazis bei Aufmärschen mit eigenen schwarzen Blöcken auf. Diese rekrutieren sich hauptsächlich aus den Nationalen Sozialisten Rostock (NSR) [„Wir sind eine Gruppe Autonomer Nationalisten“] und der Kameradschaft Malchin [„Wie die Fahne – so der Block“]. Sprühparolen am Teterower Bahnhof oder eine von den NSR unterstützte, vermummte Kleinstdemonstration am 26.Juli 2008 in Greifswald lassen auf weitere vereinzelte AnhängerInnen in anderen Städtenschliessen. Landesweit gibt es jedoch wohl kaum mehr als 50 AN.
Schwerwiegende Differenzen zwischen der NPD und den Gruppen aus Rostock und Malchin schien es bisher nicht zu geben. So posiert der Malchiner Neonaziführer Hannes Ram auf einem Foto mit Fraktionschef Pastörs. Für die NSR ist das Neonazigeschäft Dickköpp ein beliebter Anlaufpunkt und die beiden NPD-Funktionäre Birger Lüssow und David Petereit scheinen als Kontaktpersonen zu fungieren.
Bei den diesjährigen Aufmärschen fügten sich die Autonomen Nationalisten bisher dem Diktat der NPD. In Neubrandenburg ordneten sie unter dem Gelüchter von PolizistInnen eifrig ihre Reihen, als der NPD-Sprecher sie lautstark auf die Einhaltung der Marschordnung hinwies. In Güstrow verzichteten sie sogar auf das Brüllen ihrer Lieblingsparole „Autonom! Militant! Nationaler Widerstand!“
Sturm im Wasserglas
Auch der Eklat von Stralsund war schnell wieder vom Tisch. Erklärten die NSR noch am 05. Oktober auf ihrem mittlerweile geänderten Blog, dass ihnen die NPD „am Arsch vorbei geht“, wurde dies vier Tage später an gleicher Stelle revidiert. Ein „Missverständnis“ wäre der Grund der Spaltung. Die Auflage der Behörden, die das Tragen von Sonnenbrillen und Kapuzen untersagte, wäre als Anweisung der NPD verstanden worden. Schuld daran seien zwei Personen, die diese Information übermittelt haben. Unklar sei noch, ob es dabei um „mutwilliges Handeln“ ging. Eine vorsätzliche und gezielte Falschinformation wird also bemerkenswerterweise nicht ausgeschlossen. Bei den Schuldigen handelt es sich vermutlich um die beiden oben erwähnten Einheizer, die aus Leipzig angereist waren und sich auch schon bei einer Demonstration in Berlin mit den NPD-Organisatoren stritten. Dass nur zwei Personen in der Lage sind, einen Aufmarsch zu spalten, zeigt wie stark das Führerprinzip und eben nicht Autonomie in den Köpfen der Neonazis verankert ist. Der Vorfall zeigt aber auch, dass die AN bzw. ihre Bezugspersonen in der NPD Lüssow und Petereit in der Szene des Landes keine besonders große Beachtung finden. Die beiden Funktionäre waren in Stralsund nicht vor Ort und keiner der anwesenden Kader bemühte sich die Situation aufzuklären.
Altes Modell im neuen Outfit
Neonazigangs wie die NSR entsprechen dem klassischen Bild einer Kameradschaft: eher jung, aktionsorientiert, mobilisierungsfähig möglicherweise auch nur kurzlebig. Auch ihre Aktionsformen, die von „spontanen“ Aufmärschen, über Sprühparolen bis zu Attacken auf politische Gegner reichen, sind nicht neu, sondern seit Jahren übliche Praxis.
Die AN fallen auf, weil die rechte Szene des Landes sich unter dem Dach der NPD immer weiter homogenisiert und regionale Kameradschaften kaum noch ein eigenes Profil entwickeln. Zweifellos ist das neue Outfit dieser Neonazis ihr markantestes Merkmal. Sie selbst beteuern, dass es nicht um einen neuen Lebensstil oder eine neue Subkultur geht, sondern nur um Schutz vor Repression. Allerdings dürfte ihr vermeintlich rebellischer Habitus gerade in städtischen Milieus für rechtsoffene Jugendliche deutlich attraktiver sein, als die völkische Jugendarbeit wie sie in ländlichen Regionen erfolgreich praktiziert wird. Somit könnten sich die AN durchaus als Alternative zu Volkstanz, Leistungsmärschen oder Parteiversammlungen etablieren. Die derzeitige relative Bedeutungslosigkeit der Autonomen Nationalisten in MecklenburgVorpommern ist aber keineswegs Indiz für eine geringe Militanz in der Szene. Angriffe auf MigrantInnen, alternative Jugendliche und politisch Aktive sind Belege für die anhaltende Gewaltbereitschaft als Merkmal einer ultra rechten Gesinnung bei organisierten und unorganisierten Neonazis, egal wie sie sich kleiden.