Keine homophobe Gewalt in M-V?
vom 1. September 2010 in Kategorie: Artikel
Überlegene Norm
Als homophobe Gewalt werden Angriffe bezeichnet, die sich gegen (vermeintliche) Lesben, Schwule, Bisexuelle oder gegen Menschen richten, die ganz von zugeschriebenen sozialen Geschlechterrollen abweichen. Der Begriff Homophobie stellt im Wortsinn eher auf individuelle Emotionen wie Angst, Unsicherheit und Abscheu ab. Zutreffender wird mit dem Begriff Heterosexismus ein gesellschaftliches Denkund Verhaltenssystem bezeichnet, das unreflektiert und allgegenwärtig Heterosexualität als Norm und überlegen betrachtet und damit Diskriminierungen rechtfertigt. Heterosexismus im O-Ton liefert beispielsweise der NPD-Vorsitzende Udo Voigt: „Es ist nicht normal, und muss eigentlich in dem Volksbewusstsein drinnen sein, dass es leider abnormale Menschen sind“. Mit der „ propagierten offenen Geschlechtsidentität“ wird nach Ansicht der NPD-Fraktion im Schweriner Landtag „der Pädophilie Vorschub geleistet“. Vermutlich Mitglieder der Nationalen Sozialisten Rostock schmierten 2008 Parolen an die Wegstrecke des Umzuges zum Christopher-Street-Day (CSD), wie etwa „Ihr die Perversion der Gesellschaft“ oder „Schwul abnormal“. Im Jahr 2009 beschränkte sich die Organisation auf ihrer Internetseite Homosexuelle als „Päderasten“ zu verunglimpfen und Gewaltwünsche zu äußern: „Mal sehen, vielleicht gibt es heute ja auch den einen oder anderen “Kuss” der ganz besonderen Art“. Heterosexismus ist aber mitnichten nur in der rechten Szene zu finden. Studien fanden als homophob eingestufte Einstellungen bei bis zu einem Drittel der Befragten. In Teilen der HipHopoder Reggae-Szene gehören schwulenfeindliche Sprüche zum guten Ton, ebenso wie auf dem Schulhof oder beim Fussball. Das Greifswalder Studentenmagazin Moritz TV befragte im Jahr 2007 PassantInnen nach ihrer Haltung zu Homosexualität. Auch hier fielen bei einem Teil der Befragten Schlagwörter wie „unnormal“, „Krankheit“ und „Verbot“. Wüsten Beschimpfungen und Drohungen im Internet sahen sich auch die OrganisatorInnen des diesjährigen Schweriner CSD ausgesetzt.
Gute Nachrichten oder unsichere Datenlage
Ob und in welcher Form sich diese Einstellungen auch in Gewalttaten manifestieren, ist nicht so einfach zu beantworten. Im Dezember 2008 diskutierten in Schwerin Vereine, Justizministerium und Interessierte über homophobe Gewalt. Auf der Veranstaltung wurde schnell klar: konkrete Fälle sind kaum bekannt. Auch die LOBBI dokumentierte in den letzten Jahren keine Angriffe auf Schwule, Lesben, Bisexuelle oder Transgender in Mecklenburg-Vorpommern. Ganze 42 Gewaltdelikte sollen von 2001 bis 2008 aus homophoben Motiven verübt worden sein – bundesweit! Diese Zahl gab die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage von der Grünen an. In Mecklenburg-Vorpommern stellte die Landesregierung von 2006 bis 2009 überhaupt keine derartigen Gewalttaten fest. Das wären gute Nachrichten. Ob es sich dabei aber um ein realistisches Abbild der Situation im Land handelt, muss bezweifelt werden. Das Berliner schwule Anti-Gewaltprojekt Maneo kam nach einer nicht repräsentativen Onlineumfrage zu anderen Einschätzungen. Von fast 24000 teilnehmenden homosexuellen Männern hat jeder Dritte innerhalb eines Jahres Gewalterfahrungen gemacht. Auch aus Mecklenburg-Vorpommern kamen Antworten. Von den 248 Teilnehmern aus dem Bundesland gaben etwa 18% an, schon körperlichen Angriffen ausgesetzt gewesen zu sein. Die Diskrepanzen zu offiziellen Statistiken sind offensichtlich.
Dabei sind zumindest die Grundlagen für eine bessere Erfassung homophober Gewalt gelegt. Seit 2001 sollen auch Angriffe als politisch motivierte Gewalt gezählt werden, wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung der Täter darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund deren sexuellen Orientierung richtet. Homophobe Angriffe sind also ein Fall für den Staatsschutz und müssen gesondert erfasst werden. Laut Landesregierung führt die Polizei jährlich Lehrgänge durch, um StaatsschutzmitarbeiterInnen zu befähigen, derartige Straftaten fachlich zu bewerten. Ob diese Regelung polizeiintern aber bei jedem Beamten und jeder Beamtin angekommen ist, wäre zu überprüfen. Der Verein lesbischer und schwuler Polizeibediensteter (Velspol) fordert deshalb die Einrichtung von speziellen AnsprechpartnerInnen für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bei der Polizei im Land.
„Immer 150 Prozent“
Ein nicht unwesentliches Erfassungsproblem ist aber auch, dass nur etwa 11 Prozent der in der Maneo-Studie angegebenen Gewalttaten überhaupt angezeigt wurden. Eine Schwierigkeit liegt im schlechten Image der Polizei unter Homosexuellen – rund ein Drittel der Befragten aus der Maneo-Studie gab an, eine Bagatellisierung zu befürchten. Etliche Betroffene zeigen zudem Straftaten nicht an, weil sie nicht als Schwule, Lesben oder Transgender erfasst werden möchten.
Die Angabe einer homophoben Tatmotivation bei der Polizei beinhaltet außerdem die Gefahr weiterer Viktimisierungen. Sich vor einem Beamten oder einer Beamtin und später auch vor Gericht als homosexuell zu outen, ist für viele immer noch problembehaftet. Nobert Reinisch vom CSD Schwerin bezeichnet dies als Versteckspiel, um negative Reaktionen in Familie, Freundeskreis oder im Beruf zu vermeiden – „auch und gerade in einer relativ überschaubaren Stadt wie Schwerin oder gar auf dem Lande“. Die Betroffenen des Farbund Säureanschlags vom Juni im Landkreis Parchim betreiben dieses Versteckspiel nicht. Doch der Druck bleibt. „Als Schwuler musst du immer 150 Prozent geben, um Anerkennung zu finden“, schätzt einer der Männer ein. Diskriminierungen hat er in den letzten Jahrzehnten immer wieder erfahren, auch Opfer von Gewalt ist er geworden. Das Paar hoffte, den Ruhestand unbehelligter in der mecklenburgischen Provinz zu verbringen.
Nach dem Angriff wählten sie einen aktiven Weg: sie erstatteten Anzeige und informierten die Presse. Mit dem Verhalten der Polizei zeigten sich die beiden Männer zufrieden. Dennoch belastet sie der Vorfall stark. Zum Ärger über die mehreren Hundert Euro Sachschaden an Fassade, Fenstern und Bepflanzung kommt die Furcht vor erneuten Attacken. Von ihrem ersten Gedanken, ihr mühsam ausgebautes Eigenheim aufzugeben und wegzuziehen, haben sie sich aber verabschiedet. Sicher hat hier auch eine Rolle gespielt, dass sie nicht nur Anfeindungen ausgesetzt waren, sondern auch Solidarisierung erfuhren. Auf der Straße oder per Telefon drückten DorfbewohnerInnen ihre Ablehnung des Angriffs aus.
An diesen unterstützenden Reaktionen sollte sich in anderen Fällen homophober Gewalt ein Beispiel genommen werden. Dessen ungeachtet muss der offizielle Umgang mit diesen Angriffen weiter kritisch hinterfragt werden. Kritisch hinterfragen müssen sich im Übrigen aber auch die LOBBI und andere Beratungseinrichtungen. Denn auch hier scheinen Hürden für Betroffene homophober Diskriminierung zu bestehen, die Angebote dieser Projekte in Anspruch zu nehmen.