Rassistische Gewalt nimmt drastisch zu
vom 19. Dezember 2015 in Kategorie: Artikel
An jedem dritten Tag ein Angriff in M-V
Statistisch gesehen kam es 2015 bisher jeden dritten Tag zu einer rechten Gewalttat. Bei einem Großteil der Angriffe handelt es sich um Körperverletzungen (59), sowie versuchte Körperverletzungen, Nötigungen und Bedrohungen (44). Aber auch (15) zielgerichtete Sachbeschädigungen bzw. Brandstiftungen hat die LOBBI bisher registriert. Nicht dazu gehören jedoch eine Vielzahl weiterer Sachbeschädigungen, die in Schadenshöhe oder Vehemenz nicht als Gewalttat einzustufen sind, oder bei denen es keine direkt Betroffenen gibt. Insbesondere Attacken auf schon bestehende oder zukünftige Flüchtlingsunterkünfte sind in der Statistik deshalb mitunter nicht erfasst. Von den mehr als 100 Angriffen waren mindestens 203 Menschen unmittelbar betroffen.
Das Dunkelfeld bleibt groß
Es ist davon auszugehen, dass es zu weitaus mehr rechts bzw. rassistisch motivierten Gewalttaten gekommen ist. Insbesondere in ländlichen Regionen mit wenig Unterstützungsstrukturen gibt es für Betroffene kaum Zugänge zu Beratungsangeboten. Außerdem ist anzunehmen, dass gerade Geflüchtete, die erst kürzlich ins Bundesland gekommen sind, nicht über ausreichend Deutschkenntnisse verfügen, keine Informationen über Beratungsangebote erhalten oder schlicht zu eingeschüchtert sind, eine Anzeige zu erstatten oder sich an die LOBBI zu wenden.
Aufgrund der Erfahrungen aus den Vorjahren ist es außerdem sehr wahrscheinlich, dass sich die Anzahl der bekannt gewordenen Angriffe durch Nachmeldungen nochmals erhöht.
Die Zusammenhänge sind offensichtlich
Es liegt nahe, die Zunahme der Angriffe in Zusammenhang mit der aktuellen rassistischen Mobilisierung in der Bundesrepublik zu bringen. Was als Hetze auf einschlägigen Facebookseiten und Blogs beginnt, setzt sich auf der Straße fort. Waren es auf den Aufmärschen in den ersten Monaten des Jahres vor allem »die da oben« und die »Lügenpresse«, gegen die sich der »Volkszorn« richtete, so änderte sich dies spätestens in den Sommermonaten. Immer offener wird seitdem gegen Geflüchtete gehetzt, die wahlweise als »Invasoren«, »Schmarotzer« oder »Terroristen« bezeichnet werden. Diese Stimmung animiert immer mehr Personen zu Angriffen auf Menschen, die sie für Asylsuchende halten. Mitunter zeigt sich dieser Zusammenhang auch ganz deutlich, wenn etwa in Wismar Menschen direkt nach einem Aufmarsch mit Flaschen beworfen werden oder in Schwerin eine Notunterkunft angegriffen wird.
Auf Hetze folgen Angriffe – diese Konsequenz sollten sich auch all jene Politiker_innen verdeutlichen, deren Polemik mitunter schon wieder erschreckend an die 90er Jahre erinnern. Was damals auf »Das Boot ist voll!« folgte, ist bekannt: Lichtenhagen, Mölln, Solingen. Der Landtagswahlkampf steht vor der Tür und alle demokratischen Parteien sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein!
Gemeinsame Forderungen
Rassistische Gewalt hat 2015 nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern in den meisten Bundesländern deutlich zugenommen. Das Bundestreffen aller Mitgliedsorganisationen des Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt formulierte deshalb Anfang Oktober konkrete Forderungen. Die Berater_innen fordern eine konsequente, strafrechtliche Verfolgung, die Rassismus als Tatmotiv nicht voreilig ausschließt und die die Schilderungen von Betroffenen und Zeug_innen ernst nimmt. Sie verlangen die Einhaltung von Opfer- bzw. Zeugenschutzstandards, wie das Recht auf Anonymisierung der persönlichen Daten von Betroffenen, professionelle Übersetzung bei Anzeigeaufnahme und Zeug_innenvernehmungen oder Hinweise auf spezialisierte Opferberatungsstellen durch Ermittlungsbehörden. Einig sind sie sich auch, dass die Kapazitäten der unabhängigen Opferberatungsstellen dem gestiegenen Bedarf und den komplexeren Aufgaben angepasst werden müssen. Dies gilt ganz besonders für viele westdeutsche Bundesländer.
Endlich Konsequenzen ziehen
»Die Opfer abschieben, heißt die Täter_innen zu unterstützen.« So begründet der Verband der Beratungsstellen eine seiner Hauptforderungen. Diese ist nicht neu. Schon seit Jahren fordern die Berater_innen ein Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalt. »Ein sofortiges und dauerhaftes Bleiberecht für alle Betroffenen rassistischer Gewalt ist unbedingt notwendig, und zwar unabhängig von den Folgen der Tat – nicht nur wegen der juristischen Verfahren. Es ist vor allem ein politisches Signal an die Täter_innen, dass ihre politischen Ziele nicht nur geächtet werden, sondern auch nicht durch Abschiebungen durchsetzbar sind.« Dem bleibt nichts hinzuzufügen.