Unterstützung für Betroffene von Diskriminierung: In M-V kein Thema?
vom 14. Februar 2018 in Kategorie: Artikel
All dies sind Beratungsfälle, in denen die LOBBI in diesem Jahr Betroffenen von Diskriminierung unterstützend beiseite stand. Ob in Mecklenburg-Vorpommern auch in Zukunft diesen und anderen Betroffenen mit qualifizierter Beratung geholfen werden kann, ist jedoch noch völlig offen. Zum Jahresende lief das Modellprojekt Antidiskriminierungsberatung der LOBBI aus; bisher konnte noch keine weitere Finanzierung erschlossen werden.
Alles andere als eine „Randnotiz“
Diskriminierungserfahrungen, so haben wir bereits in der letzten Ausgabe der Perspektiven beschrieben, sind für viele Betroffenen alles andere als eine zu vernachlässigende »Randnotiz« in ihrem Leben. Mehr als ein Drittel aller in Deutschland lebenden Menschen hat nach einer repräsentativen Erhebung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in einem Zeitraum von zwei Jahren mindestens einmal Diskriminierung erleben müssen. Die Folgen begleiten die Menschen häufig sehr lange und hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck. Diskriminierung tritt in unterschiedlichen Formen auf. Sie äußert sich beispielsweise in sozialen Herabwürdigungen wie ausgesprochenen Vorurteilen, Beleidigungen, Ausgrenzungen u.ä. oder in konkreten materiellen Benachteiligungen, etwa bei nicht erfolgten Einstellungen, ungleicher Bezahlung oder verweigerten Dienstleistungen. Die dahinterliegenden Botschaften sind meist die gleichen: Du bist anders – das ist nicht gut. Du reichst nicht aus. Deine Bedürfnisse spielen keine Rolle. Du gehörst nicht dazu.
Häufig stellen Diskriminierungserfahrungen nicht nur eine große emotionale Belastung dar, sondern haben auch einen nachhaltigen Effekt auf das gesellschaftliche und soziale Miteinander. In der zuvor genannten Erhebung gab jede fünfte Person an, in Folge einer diskriminierenden Erfahrung soziale Kontakte eingeschränkt oder abgebrochen zu haben. Insbesondere wenn Menschen wiederholt Diskriminierungen ausgesetzt sind, sinkt das Vertrauen in die Umgebung, in die Schutzfunktion staatlicher Behörden, in das gesellschaftliche System allgemein. Die Folgen reichen bis hin zu nachhaltigen Entfremdungs- und Isolationsprozessen.
Ein demokratisches Defizit
Diskriminierung ist aus diesem Grund sehr viel mehr als „ein individuelles Problem“; Diskriminierung verhindert systematisch gesellschaftliche Teilhabe und steht so den zentralen Prämissen von demokratischen Gemeinwesen entgegen, nach denen alle Menschen gleich an Würde, Rechten und Entfaltungsmöglichkeiten sind.
In Mecklenburg-Vorpommern wurde schon vor vielen Jahren erkannt, dass Demokratie nicht immer ein »Selbstläufer« ist, dass der Einsatz für ein demokratisches Miteinander eine kontinuierliche Zusammenarbeit und gezielte Maßnahmen erfordert. 2006 wurde aus diesem Grund das Landesprogramm »Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!« im Landtag interfraktionell beschlossen. Entstanden unter dem Eindruck des Einzugs der NPD in kommunale Parlamente und den Landtag, fokussiert es jedoch weit mehr Phänomene als die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der rechten Partei. Im Leitbild bekennen sich die Fraktionen an vorderster Stelle zur Unantastbarkeit der menschlichen Würde, zu den Grundwerten des demokratischen Gemeinwesens und verpflichten sich dazu, demokratie- und menschenfeindlichen Tendenzen entgegenzutreten.
Eine Reihe von Maßnahmen wurde im Laufe der Jahre zur Umsetzung des Landesprogramms beschlossen, die der Stärkung von Demokratie und Toleranz und der Bekämpfung von Ideologien, die dem Gedanken der Gleichheit aller Menschen entgegenstehen, etwa Rassismus und Antisemitismus, dienen sollen. Eine Konzeption für Antidiskriminierungsarbeit im Bundesland und insbesondere ein Beratungsangebot für Betroffene von Diskriminierung sucht man indes vergebens. Ohne Zweifel jedoch muss Diskriminierung, also die Verweigerung gesellschaftlicher Teilhabe, ebenso als demokratiefeindliches Phänomen verstanden werden. Nur folgerichtig wäre es daher, Betroffenen entsprechende Unterstützung zukommen zu lassen.
Gemeinsam für die Schaffung eines Beratungsangebots
Die LOBBI hat im Rahmen des Modellprojekts Antidiskriminierungsberatung gemeinsam mit anderen engagierten Akteur*innen an der Entwicklung einer solchen Beratungsstruktur gearbeitet. Auf Grundlage zahlreicher Fachgespräche mit Einrichtungen und Projekten, die in der einen oder anderen Weise mit Betroffenen von Diskriminierung konfrontiert sind, etwa MIGRANET-MV, dem Landesseniorenbeirat oder Gleichstellungsbeauftragten, sowie in weiteren gemeinsamen Treffen wurden Eckpunkte, Rahmenbedingungen und Notwendigkeiten herausgearbeitet. Entstanden ist dabei nicht nur ein Konzeptvorschlag für ein merkmalübergreifendes Beratungsangebot, das die Kompetenzen der vielfältigen Akteur*innen im Land berücksichtigt, sondern auch ein Positionspapier, in dem sich die Unterzeichner*innen auf Grundlage ihrer Tätigkeiten und Erfahrungen an (politische) Entscheidungsträger*innen wenden, die Notwendigkeit eines Beratungsangebots unterstreichen und den Rahmen eines solchen umreißen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit haben die LOBBI und die Netzwerkpartner*innen auf das Thema aufmerksam gemacht, deutliche Signale aus dem Land sind bisher jedoch ausgeblieben.
Das Modellprojekt ist zum Ende des Jahres 2017 ausgelaufen. Ein Anfang ist gemacht, vieles ist noch offen. Nun liegt es an den Entscheidungsträger*innen, den Weg für ein ausfinanziertes Beratungsangebot zu ebnen und Betroffenen von Diskriminierung so die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Es ist auch eine Chance für die Landesregierung – eine Chance, ähnlich wie mit dem Landesprogramm, ein Zeichen für ein demokratisches Miteinander zu setzen und ein Signal an die Betroffenen zu senden, dass sie und ihre Erfahrungen ernstgenommen, dass sie als Menschen, so wie sie sind, wertgeschätzt werden.