Zu allem bereit
vom 22. Dezember 2019 in Kategorie: Artikel
Ausgangspunkt des Bekanntwerdens der Gruppe Nordkreuz waren zunächst die Ermittlungen gegen den Soldaten Franco A. aus Hessen. Dieser hätte Anschläge, unter anderem auf die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, geplant, die er anschließend Geflüchteten anlasten wollte. Dafür hatte er sich Ende 2015 als syrischer Flüchtling registrieren lassen und pendelte bis zu seiner Festnahme im April 2017 zwischen seiner Kaserne und einer Unterkunft für Geflüchtete, um seine Maskerade aufrecht zu halten.
Bei der Auswertung seiner Kontakte stießen Ermittler*innen erstmals auf eine Gruppe mit dem Namen Nordkreuz und somit auf erste Hinweise auf ein größeres Netzwerk.
Nach über einem Jahr intensiver Recherchen berichten Ende 2018 taz und Focus dann fast zeitgleich von einer ganzen »Schattenarmee«, die sich in Bundeswehr und Reservistenverbänden gebildet habe. In deren Zentrum stünden zwei Elitesoldaten, die sich selbst »Hannibal« und »Petrus« nennen und als Gründer und Administratoren der Gruppen auftreten würden, die sich entlang der Wehrbereichsverwaltung in die Gruppen Süd, Ost, West und eben auch Nord gliedern.
Gewaltphantasien und Adresslisten
Offensichtlich sind diese Hinweise auf die bundesweite Vernetzung Franco A.s tatsächlich schon im Sommer 2017 so alarmierend, dass das Bundeskriminalamt (BKA) am 28. August im Auftrag des Generalbundesanwalts (GBA) auch mehrere Objekte in Mecklenburg-Vorpommern durchsucht. Vorwurf, der Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Das hiesige Innenministerium wird erst kurz zuvor informiert, Polizeibeamte von vor Ort sind nicht involviert. Dies hat Gründe: Einer der beiden Tatverdächtigen, Haik J., ist Polizeibeamter in Ludwigslust. Der Zweite ist Jan-Hendrik H., Rechtsanwalt und zum damaligen Zeitpunkt Mitglied der Rostocker Bürgerschaft. Der GBA wirft den beiden vor, geplant zu haben, »Vertreter des politisch linken Spektrums festzusetzen und mit ihren Waffen zu töten. Zu dieser Personengruppe sollen die Beschuldigten eine Liste mit Namen und weiteren Personalien angelegt haben.« Unter anderem soll J. als damaliger Polizist in Ludwigslust unbemerkt seinen Dienstrechner genutzt haben, um an Meldedaten potentieller Opfer der Gruppe Nordkreuz zu gelangen. BKA-Beamte finden sowohl bei ihm als auch bei H. Adresslisten, auf denen zu knapp 30 Personen handschriftlich Adressen und weitere nicht öffentlich verfügbare Informationen ergänzt wurden. Darunter unter anderem die Skizze der Wohnung eines Mannes aus Ludwigslust. Dieser hatte im Jahr 2015 ein Drohschreiben beim Staatsschutz angezeigt und in der Diskussion möglicher Schutzmaßnahmen ebenjene Skizze gezeichnet, berichtet die taz. Wie sie vom Staatsschutz in die Hände des Nordkreuz-Umfeldes gelangt ist, ist nur eine der vielen noch offenen Fragen.
In anderen Fällen hingegen, scheint es sich um große Datensätze aus dem Hack eines Punk-Versandhandels zu handeln, die in rechten Kreisen als Liste mit Antifa-Adressen weitergeleitet wurden. In der bundesweiten Presse macht der Begriff der »Todeslisten« die Runde. Das Schweriner Innenministerium betont derweil, dass es keine Gefährdung gäbe, ohne dies näher zu begründen und verweist ansonsten auf den GBA als leitende Ermittlungsbehörde.
Wenige Tage nach den Durchsuchungen werden zudem die Korrespondenzen zwischen dem damaligen AfD-Landtagsabgeordneten Arppe und Fraktionskollegen aus dem Jahr 2015 bekannt. Der Rostocker Arppe ergeht sich dabei nicht nur in detaillierten Schilderungen, wie er politische Gegner*innen ermorden würde, er spricht auch lobend von Jan-Hendrik H.: »Der Typ«, so Arppe, »würde perfekt in unsere Reihen passen. Er hasst die Linken« und besitze reichlich Waffen.
Vorbereitungen auf den »Tag X«
Durchsucht werden im August 2017 auch die Räume von vier weiteren Personen, die bis dahin nicht als tatverdächtig gelten. Unter ihnen Marco G., laut Medienberichten Administrator der Chatgruppe Nordkreuz, in der sich 30 bis 60 Personen vernetzt haben sollen. G. ist ebenfalls Polizeibeamter und langjähriges Mitglied des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Landespolizei. Davor war er Elitesoldat in der Bundeswehr.
Wenige Tage nach den Durchsuchungen gibt er sich in einem Beitrag der Sendung Panorama selbstbewusst. Er und seine Bekannten seien ganz normale Bürger, die sich lediglich auf Krisensituationen vorbereiten. Schnell ist, insbesonders seitens der Landesbehörden, stets von sogenannten Preppern die Rede: mitunter verwirrte, aber eigentlich harmlose Personen, die ihr Geld für Bunker und Lebensmitteldepots ausgeben und sich im Falle eines Untergangs der Zivilisation mit Waffen schützen wollen.
Dabei gerät aus dem Blick, was diese Gruppe tatsächlich plante. Am »Tag X« – in rechten Kreisen ein beliebtes Synomym für den herbeigesehnten Tag des Umsturzes – wollten sie Menschen exekutieren, die sie als politische Gegner*innen ansahen. So wird im Juni 2019 bekannt, dass Nordkreuz sich mit Leichensäcken und Ätzkalk bevorraten wollte. Sicherheitskreise sprechen laut Redaktionsnetzwerk Deutschland von Vorbereitungen, die mit »enormer Intensität« vorangetrieben wurden. Für so ein Treiben gibt es eine eindeutige Bezeichnung: Rechtsterrorismus.
Schießtrainings und Waffenlager
Schon bei den ersten Razzien im August 2017 fanden BKA-Beamte Waffen und Munition, auch bei Marko G.. Da diese nicht ordnungsgemäß gesichert waren, wurde gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Wirklich ernst wird es für ihn und weitere Polizisten allerdings erst im Juni 2019. Auf seinem Grundstück finden Beamte des LKA mindestens 30.000 Schuss Munition und eine Maschinenpistole vom Typ Uzi. Ein Teil davon stammt wohl aus Bundeswehrbeständen, der Rest wurde seit 2012 bei Schießtrainings im Bundesland entwendet. Gegen G. und einen weiteren Tatverdächtigen wird Haftbefehl erlassen. Zwei festgenommene Personen werden gegen Auflagen entlassen. Alle vier haben eine gemeinsame Vergangenheit im SEK. Gleichzeitig werden vier weitere Mitglieder dieser Spezialeinheit wegen ihrer Verbindungen zu Nordkreuz versetzt. Gegen G. erhebt die Staatsanwaltschaft Schwerin im September diesen Jahres schließlich Anklage wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffengesetz und das Sprengstoffgesetz in zwei Fällen. Der Gerichtsprozess begann im November.
Durchsucht wird im Juni auch ein Schießplatz in Güstrow. Dort hatten jahrelang SEK-Einheiten, nicht nur aus Mecklenburg-Vorpommern, trainiert – unter Schirmherrschaft von Landesinnenminister Caffier. Beliebt war der Schießplatz laut Medienberichten aber auch bei weiteren Personen aus dem Nordkreuz-Netzwerk.
Unter ihnen auch wieder der Rostocker Rechtsanwalt H., der außerdem hinter seinem Haus ein Wettschießen veranstaltet haben soll. Erster Preis ein Pokal, benannt nach Mehmet Turgut, der 2004 in Rostock vom sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) erschossen wurde, berichtet die taz unter Berufung auf mit den Ermittlungen vertrauten Personen.
Alles unter Kontrolle?
All diese Ereignisse wurden nur in Bruchstücken bekannt, zumeist durch journalistische Recherchen oder nach anhaltendem öffentlichen Druck. Doch sie zusammen zu führen, fundierte Informationen zu liefern und diese einzuordnen wäre auch Aufgabe des Landesinnenministeriums gewesen. Die Ende 2017 eingesetzte »Prepperkommision« kündigte einen Abschlussbericht für das dritte Quartal 2018 an. So ein Bericht liegt bis heute nicht öffentlich vor. Der Verfassungsschutz bezeichnet die rechten Bürgerkriegsvorbereitungen in seinem Bericht für das 2018 vom Mai diesen Jahres als »Krisenvorsorge« – das Nordkreuz-Netzwerk wird nicht einmal erwähnt.
Nach den Waffenfunden vom Juni 2019 sieht sich der Innenminister erneut unter Druck. Selbst Abgeordnete der Regierungsfraktion sprechen mittlerweile von »Schattenstrukturen« in der hiesigen Polizei. Er entschuldigt sich im Landtag für die »Vorfälle« und richtet eine weitere Kommission ein. Diese legt Ende November ihren Abschlussbericht vor. Darin ist von einer rechten »Subkultur« die Rede, die sich über Jahre ungestört im SEK entwickeln konnte. Der Direktor des LKA und der Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium werden versetzt. Doch es bleiben viele offene Fragen. Ebenso stehen zahlreiche Forderungen nach weitreichenden Konsequenzen und strukturellen Veränderungen in den Sicherheitsbehörden im Raum, wie die Schaffung wirksamer Beschwerdestellen und parlamentarischer Kontrollinstrumente.