Rechte Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern – LOBBI veröffentlicht Zahlen für 2020
vom 29. März 2021 in Kategorie: Artikel, Jahresbericht, Pressemitteilung
Der Beratungsverein für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, LOBBI, registrierte im vergangenen Jahr 93 Angriffe, von denen mindestens 152 Menschen unmittelbar sowie 35 indirekt betroffen waren. Damit bewegen sich die Zahlen wieder leicht über dem Niveau des Vorjahres. Dies ist überraschend, da anzunehmen war, dass es durch die Einschränkungen im Zuge der Bekämpfung der Corona-Pandemie zu weniger Zusammenkünften und somit auch weniger „Gelegenheiten“ für rechte Attacken kommt.
Im vergangenen Jahr kam es damit statistisch betrachtet an jedem vierten Tag zu einem rechten Angriff. In 59 Fällen handelte es sich um Körperverletzungen, darunter 31 gefährliche. Auffällig ist eine Zunahme gemeldeter rechter Bedrohungen (25 gegenüber 14 im Vorjahr).
In über der Hälfte der Fälle handelten die Angreifer:innen wie auch in den vergangenen Jahren aus rassistischen Motiven. In 2020 nahm jedoch der Anteil an Angriffen auf politische Verantwortungsträger:innen oder vermeintliche politische Gegner:innen deutlich zu (27 Angriffe). Einige dieser Attacken stehen in unmittelbarem Zusammenhang der Aufmärsche sogenannter Corona-Kritiker:innen. So wurde im Mai eine Stadtvertreterin in Neubrandenburg bei ihrem Protest gegen einen solchen Aufzug, von Demo-Teilnehmern attackiert und dabei an der Hand verletzt. An dem Aufzug nahm auch eine Gruppe organisierter Neonazis teil. In Demmin kam es im Juni innerhalb einer Woche zu zwei Attacken von Demonstrierenden auf einen Passanten und eine Journalistin, die beide jeweils das Geschehen dokumentieren wollten.
In Bezug auf die regionale Verteilung fanden die meisten Angriffe 2020 erneut in der Hansestadt Rostock statt (27). Eine Zunahme ist im Landkreis Vorpommern-Rügen zu verzeichnen, wo noch immer die Hansestadt Stralsund ein Schwerpunkt rechter Gewalt bleibt. In Nordwestmecklenburg hingegen ist ein leichter Rückgang erkennbar, was allerdings auch an fehlenden Zugängen zu (potenziell) Betroffenen in Zeiten der Pandemie liegen kann und somit eher auf ein verändertes Meldeverhalten zurückzuführen wäre.
»Die hier dargestellten Angriffe sind immer nur ein Ausschnitt, nur das was an die Oberfläche tritt. Wir gehen davon aus, dass auch wir von vielen Angriffen nicht erfahren, andere werden uns deutlich später bekannt. Auch der Schritt, solche Angriffe zur Anzeige zu bringen, ist vielen Betroffenen nicht möglich oder von ihnen nicht gewollt. Zusätzlich zu den körperlichen Angriffen, sehen sich viele Betroffene alltäglichen Feindseligkeiten und Erniedrigungen ausgesetzt“, sagt Robert Schiedewitz, Mitarbeiter der LOBBI. „Besonders spürbar war vergangenen Jahr erneut das zunehmende Misstrauen in Polizei und Justiz, das durch anhaltende Enthüllungen von Fehlverhalten und Vergehen durch Angehörige der Sicherheitsbehörden weiter gefüttert und von den Betroffenen immer wieder thematisiert wurde“, so Schiedewitz weiter.
Die LOBBI konnte dennoch im vergangenen Jahr in 166 Fällen beraten und damit 222 Menschen unmittelbar unterstützen. Davon fanden 52 Beratungen nach Angriffen im laufenden Jahr statt, 39 Beratungen zu Angriffen aus Vorjahren und 75 Beratungen zu rechten Vorfällen, die nicht als Gewalttaten einzuordnen sind. Dazu zählen etwa Beleidigungen und Einschüchterungen, aber auch rassistische Diskriminierungen.
Durch die Pandemie hat sich die Beratungssituation seit dem Frühjahr deutlich verändert. Dennoch konnten Settings geschaffen werden, in denen Betroffene nach rechten Angriffen angemessen beraten und begleitet werden konnten. Größere Auswirkungen hatte die Situation auf Netzwerk- und Bündnisarbeit die Zugänge in manche Regionen oder zu bestimmten Betroffenengruppen wurden massiv erschwert. Das Ausmaß des Dunkelfeldes ist schwer abzuschätzen.“
Die LOBBI unterstützt in Mecklenburg-Vorpommern seit 2001 Betroffene rechter und rassistischer Gewalt bei der Bewältigung der Tatfolgen und dokumentiert darüber hinaus diese Angriffe.