Beleidigt, bedroht, angegriffen
vom 19. Dezember 2015 in Kategorie: Artikel
Der Rücktritt eines Bürgermeisters im sachsen-anhaltinischen Burgenlandkreis sorgt im März bundesweit für Furore. Er hatte sich im Dezember 2014 in einem Amtsblatt öffentlich, wenn auch halbherzig, für die Unterbringung von Geflüchteten in Tröglitz ausgesprochen. Doch schon dies war anscheinend Grund genug, ihn massiv unter Druck zu setzen. Zehn NPD-organisierte »Spaziergänge« durchs Dorf später reicht es ihm. Als er erfährt, dass die »besorgten Bürger_innen« nun direkt vor das Wohnhaus seiner Familie ziehen wollen und dürfen, legt er sein Amt nieder. Nun sprechen auch all jene von einer Niederlage für die Demokratie, die zuvor nicht willens waren, dem Kommunalpolitiker die notwendige Rückendeckung zu geben.
»Einige wünschen mir den Tod an den Hals«
Anfeindungen gegen Kommunalpolitiker_innen sind auch in Mecklenburg- Vorpommern zum Alltag geworden. Schwerins Oberbürgermeisterin Gramkow wird lautstark auf Einwohner_innenversammlungen beschimpft, weil sie sich klar gegen anwesende Rassist_innen positioniert. Rostocks Sozialsenator Bockhahn wird im Internet mit dem Tod bedroht, weil er sich für eine menschenwürdige Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden ausspricht. Karen Larisch, Güstrower Stadtvertreterin und Mitglied des Kreistages wird über Monate von örtlichen Neonazis bedroht, beleidigt und angegriffen, weil sie in der Stadt lebende Geflüchtete unterstützt. Viele weitere Beispiele wurden bisher nicht öffentlich thematisiert, meistens deshalb, weil die Betroffenen dies nicht wünschen. In den jeweiligen Kommunen sind diese dennoch Thema: auf der Straße, im Verein oder in politischen Kreisen. Klare Positionierung auf der Seite der Betroffenen? Meist Fehlanzeige.
»Auch wir stehen im Fokus«
Sich ehrenamtlich für Geflüchtete zu engagieren, ist für viele Menschen im Bundesland selbstverständlich geworden. Was für ein gesellschaftlicher Fortschritt gegenüber den 90er und frühen 2000er Jahren! Weniger selbstverständlich ist es jedoch, dieses Engagement öffentlich zu machen. Viele Helfende mussten selbst erleben, wie viel Ablehnung oder gar Hass ihnen in der Nachbarschaft oder im Internet entgegenschlägt, andere kennen zumindest Berichte über solche Geschehnisse. Fotos, Namen oder Adressen von Mitgliedern örtlicher Willkommensinitiativen werden veröffentlicht, Reifen zerstochen, Häuser beschmiert und Drohbriefe verschickt. Einige Betroffene machen solche Vorfälle öffentlich oder stellen Strafanzeigen, andere finden Halt und Solidarität im persönlichen Umfeld. Viele ziehen sich jedoch zurück und werden gar nicht erst aktiv, weil sie sich nicht in Gefahr bringen wollen.
Doch niemand kann sagen, wie viele sich bereits zurück gezogen haben oder kurz davor stehen.
»Alle an die Wand stellen!«
Warum werden Menschen angefeindet, die ehrenamtlich Deutsch unterrichten, in Notunterkünften helfen oder viel Engagement als hauptamtliche Betreuer_innen zeigen ? Die Vorwürfe der Rassist_innen ähneln sich immer wieder: Ihr sorgt dafür, dass »die« sich hier wohlfühlen. Deshalb kommen immer mehr von »denen«. Damit fallt Ihr »eurem Volk« in den Rücken.
Aufmärsche in einer bisher nicht gekannten Frequenz sorgen für ein neues Selbstbewusstsein der selbsternannten »Patrioten«. Hunderte Facebookseiten liefern täglich neues Futter für offenen Rassismus und bieten Raum für Vernichtungsphantasien. Die Folgen bekommen vor allem Betroffene rassistischer Gewalt zu spüren, die immer öfter beschimpft, bedroht und attackiert werden. Aber eben auch all jene, die sich an deren Seite stellen.
»Seien Sie froh, dass Ihr Auto nicht brennt!«
Mit praktischer Hilfe können die Betroffenen nur selten rechnen, oft nicht mal mit Verständnis für ihre Situation. Vielmehr wird ihnen vorgeworfen, sich aufzuspielen, selbst schuld an der Situation zu sein, oder ihre Glaubwürdigkeit wird in Frage gestellt. Kommunalpolitiker_innen, die öffentlich machen, was ihnen widerfahren ist, müssen sich anhören, dass sie das Ansehen der Kommune beschädigen. Vorfälle werden bagatellisiert oder umgedeutet. Polizeibeamte wirken genervt, wenn sie schon wieder eine Strafanzeige entgegennehmen sollen, oder konfrontieren Betroffene gar mit Statements wie: »Also wenn ich das gewesen wäre, hätte ich einen Molotowcocktail genommen.«
Es betrifft uns alle!
Die Bedeutung ehrenamtlichen Engagements – gerade in der Unterstützung und Betreuung geflüchteter Menschen – wird in den Medien und in Statements aus der Landespolitik oft und gerne betont. Die eine mag dabei vor allem das Image des Bundeslandes vor Augen haben, der andere denkt vielleicht in erster Linie an mögliche Einsparungen. Doch das mindert den wirklichen Beitrag nicht, den all jene, die Geflüchtete willkommen heißen und praktisch unterstützen, für eine offene und pluralistische Gesellschaft leisten. Sie schaffen Austausch und Verständigung. Ihr Engagement wirkt rassistischer Ausgrenzung entgegen. Sie zeigen praktische Solidarität. Und Solidarität steht ihnen zu, wenn sie eingeschüchtert, bedroht oder angegriffen werden.
An der Seite der Betroffenen
Organisierte Neonazis und Rassist_innen aus der viel beschworenen Mitte der Gesellschaft wollen Engagierte einschüchtern, in die Isolation und damit letztendlich in den Rückzug drängen. Dies gelingt ihnen dann besonders leicht, wenn Betroffene in ihrer Situation alleine gelassen werden. Wenn sie dagegen Wertschätzung, öffentliche Solidarität und praktische Unterstützung erfahren, können sie das Mobbing im Internet oder die Sachbeschädigung am Büro oft besser verarbeiten und gehen aus solchen Situationen mitunter sogar gestärkt hervor. Oft sind es schon kleine Schritte, die viel bewirken können – das Anteil nehmende und aufbauende Gespräch, die Spendenaktion oder die gemeinsame Erklärung der Gemeindevertretung.
Konkrete Hinweise für Betroffene und Personen, die sich mit ihnen solidarisch zeigen wollen, finden sich auch hier: