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Bleiberecht

vom 16. Januar 2014 in Kategorie: Artikel

Mitte Juni bei Bergen auf Rügen: Auf ihrem Weg vom Zentrum der Stadt zurück in ihre entlegene Wohnung, die nur über einen unbeleuchteten Feldweg zu erreichen ist, werden zwei junge Ghanaer plötzlich von einem Motorrad und einem Auto bedrängt. Die beiden schaffen es, sich in die Dunkelheit zu retten und kehren schließlich in den Wohnblock zurück, in dem sie für die Dauer des Asylverfahrens dezentral untergebracht sind. Am nächsten Tag erstatten sie Anzeige bei der Polizei, der Staatsschutz ermittelt. Es wird von einem rechten Hintergrund ausgegangen. Einer der beiden Betroffenen wird kurz darauf entsprechend der Dublin-II-Verordnung nach Italien abgeschoben.WelchesGefühlbeidem jungen Mann bleibt, nach einer langen Reise mit der Hoffnung auf ein besseres Leben, die in Isolation, Bedrohung und Ablehnung endete, ist kaum nachzuempfinden. Darüber hinaus wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Aussage vor Gericht machen können und somit fehlt einer der wichtigsten Zeugen – ein Opfer der Straftat.

Bei diesem Vorfall handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Immer wieder sind Asylsuchende von rassistischer Gewalt betroffen, doch weder die rechte Tat, noch die Strafverfolgung haben einen Einfluss auf das Asylverfahren. Die TäterInnen, die sich selbst häufig als «Vollstrecker des Volkswillens» sehen, kommen ohne die belastende Aussage der Betroffenen oft davon und triumphieren gleichzeitig, da ihr Ziel mit der Abschiebung endgültig erreicht wurde. Ausnahmen von dieser doppelt diskriminierenden Praxis werden nur in Fällen von Menschenhandel oder bei Verstoß gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz gemacht. Hier bekommen die Betroffenen eine Aufent-

haltsgestattung, allerdings nur bis zum Prozess. Sind die TäterInnen verurteilt, müssen die ZeugInnen zurück in ihr Herkunftsland. Doch nicht einmal diese Regelung gilt für Opfer von rechten Gewalttaten. Nur allzu verständlich, dass dies bei den Betroffenen den Eindruck hinterlässt, ihre Situation sei für die Behörden von minderem Interesse. Auch wer nicht akut von Abschiebung bedroht ist, trotzdem aber über keinen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügt, leidet nach einem rechten Angriff oft noch mehr unter den Folgen der Isolation und Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Behandlungsmöglichkeiten sind kaum vorhanden und aus dem Gefühl der subtilen Ablehnung wird durch die fehlende Unterstützung die Gewissheit, hier nicht erwünscht zu sein. Aus diesem Grund setzte sich bereits 2001 eine Kampagne aller Beratungsstellen für Betroffene von rechter Gewalt (agOra) für ein dauerhaftes Bleiberecht für Opfer rassistischer Angriffe ein. Im Zuge der Aufklärung der Morde des NSU und der Recherchen zu den Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 ist diese Forderung, nachdem sie vor über zehn Jahren von den Regierungsparteien abgelehnt wurde, aktuell wieder vermehrt in den Fokus gerückt.

Nur durch die Gewährung eines dauerhaften, automatischen und bedingungslosen Bleiberechtes für die Betroffenen rechter Gewalt kann eine Solidarisierung mit den Opfern zum Ausdruck gebracht werden. Gleichzeitig würde damit ein politisches Zeichen gesetzt werden, dass dem Rassismus der TäterInnen etwas entgegnet wird. Für die Betroffenen ist es oft nur möglich, eine solche Tat zu verarbeiten, wenn sie die Chance eines selbstbestimmten Lebens bekommen.