Geordnete Gewalt
vom 16. Januar 2014 in Kategorie: Artikel
Zuletzt war ein Übergriff durch den Ordnungsdienst auf einen Passanten am Rande einer NPD-Kundgebung in Aschaffenburg bekannt geworden. Die Neonazis sollen dort einen Mann mit einem Feuerlöscher attackiert haben. Stolz veröffentlichte danach der jüngst zurückgetretene Bundesvorsitzende der NPD, Holger Apfel, auf seinem Facebook-Profil ein Foto aus der Gefangenensammelstelle, auf dem er schmunzelnd und mit einem Schild «Gefangene der bayrischen Polizei» abgelichtet ist – umringt von Mitgliedern des Ordnungsdienstes aus Mecklenburg-Vorpommern.
Die Anfänge
Der erst seit einigen Jahren wieder wahrzunehmende Ordnungsdienst blickt auf eine lange Geschichte zurück. Schon in den ersten Jahren nach ihrer Gründung entsprangen erste bewaffnete Gruppen aus dem Umfeld der NPD. In diese Zeit fällt auch die Gründung des Ordnungdienstes als Organ der Partei, das in der folgenden Zeit vor allem als Schlägertruppe berüchtigt wurde. Die gewaltättigen Mitglieder in seinen Reihen hätten 1969 fast für ein Verbot der Partei gesorgt: Während des Bundestagswahlkampfes schoss der damalige Bundesbeauftragte des NPD-Ordnungsdienstes, Klaus Kolley, in der Stadthalle Kassel zwei jugendlichen Gegendemonstranten in die Oberarme.
Danach wurde es lange still um die Gruppierung. Mit dem Aufwind der NPD in den 1990er Jahren nahmen Demonstrationen, Kundgebungen und andere Veranstaltungen wieder zu – und mit ihnen die Bedeutung des Ordnungsdienstes. Er sollte von nun an neu formiert und «straffer organisiert» werden. Als neuer Leiterdafür verantwortlich: Manfred Börm.
Börm brachte schon damals einschlägige Erfahrungen mit – unter anderem als ehemaliger «Gauleiter» der Wiking Jugend Gau Niedersachsen/Bremen, die 1994 wegen ihrer Wesensverwandtschaft zur Hitler-Jugend verboten wurde – oder mit terroristischen Aktivitäten, wie einem Überfall auf eine niederländische NATO-Truppe, für den er 1979 zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Kontinuitäten und Aktivitäten
Wie Börm kann auch der derzeitige Leiter der NPD-Ordnergruppe Mecklenburg-Vorpommerns, Frank Klawitter, auf (para-)militärische Erfahrungen zurückgreifen. Er organisierte in den 1990er Jahren Wehrsportlager und galt als «Führer von Greifswald». Der 41-jährige Greifswalder, derzeit angestellt bei der NPD-Fraktion im Schweriner Landtag, versammelt die regelund unregelmäßig auftretenden, ausnahmslos männlichen Mitglieder der Ordnertruppe, koordiniert die Anreise zu Veranstaltungen, organisiert Schulungen und fungiert als Koordinator bei Aufmärschen der NPD. Diese finden im gesamten Bundesgebiet statt – so sind Teile der sich selbst als Ordnungsdienst «Waterkant» betitelnden Gruppe aus MecklenburgVorpommern in der ganzen Republik im Einsatz.
«Mitmachen darf, wer eine sportliche Grundhaltung besitzt, sich dem Willen zum Dienst verpflichtet und damit seine eigenen Interessen unter den Dienst des Gemeinschaftswillen stellt.» Die «nationalistische Weltanschauung», die laut Werbeblatt des Ordnungsdienstes Niedersachsen der Organisation zu Grunde liegt, hatte sich Klawitter auch als aktives Mitglied der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) zu Eigen gemacht, die inhaltliche und personelle Parallelen zur Wiking-Jugend aufwies. Da sie, wie eben jene, nationalsozialistischen Idealen angelehnt war, wurde auch diese
Gruppierung im Jahr 2009 verboten. Die personellen Kontinuitäten zwischen etlichen rechten Gruppen im Nordosten und den HDJ-Strukturen zeigen sich auch im Ordnungsdienst. Neben Klawitter sind viele der etwa 20 Mitglieder ehemalige Aktive der HDJ – Manfred Börms früherer Stellvertreter Andreas Theißen ist unter ihnen, genauso die Brüder Tino und Marko Müller aus Ueckermünde oder der aus Niedersachsen stammende Martin Götze. Die Mehrzahl von ihnen stammt allerdings aus dem Landkreis Vorpommern-Greifswald.
Jüngeren Aktivisten wie dem NPDKreistagsabgeordneten in der Mecklenburgischen Seenplatte, Hannes Welchar, waren Drill und Ordnung in der HDJ nicht mehr vergönnt. Sie erfahren nun bei Schulungen des Ordnungsdienstes, «die Hasstiraden ihrer GegnerInnen von sich abprallen zu lassen» und, so in der NPD-Zeitung Deutsche Stimme, «Verleumdungen ehrvergessener Systemknechte sich selbst zur Ehre anzurechnen». Martialisches Auftreten und Verhalten wird eingeübt, die NPD-Dienstleister lernen Details des Versammlungsrechts und den Umgang mit Funktechnik.
Auf Demonstrationen ist der Ordnungsdienst mittlerweile leicht auszumachen: Seine Mitglieder sind meist sportlicher Figur, mit Ordner-Binde am Arm und Funkknopf im Ohr ausgestattet, führen sie Befehle und Weisungen aus. Vor dem Beginn des Umzuges versammeln sie sich abseits des Geschehens und stehen stramm, während sie von Frank Klawitter eine Einweisung erhalten. Offiziell soll der Ordnungsdienst maßgeblich für die Begleitung der Aufmärsche verantwortlichseinundvorallempositivauf die Disziplin der «eigenen Leute» einwirken. Für den Schutz von außen sei hingegen die Polizei zuständig.
Schlagkräftiges Gewaltmonopol
In der Realität offenbart sich jedoch ein anderes Bild. Der Versuch der Ordnungstruppe, der Polizei das Gewaltmonopol abzuringen, um folglich als Exekutive nach außen aufzutreten und GegendemonstrantInnen oder JournalistInnen zu bedrängen, glückt zunehmend. Die BeamteInnen in Mecklenburg-Vorpommern lassen dies oft unbemerkt geschehen. Rechtlich untermauert wird das Vorgehen gegen vermeintliche «Störenfriede» durch das Deutsche Rechtsbüro, einen Verbund extrem rechter Anwälte. «Wenn jemand zu Unrecht fotografiert wird, ist er berechtigt, Notwehr zu leisten», ist dort etwa fälschlicherweise zu lesen. Im NPD-Parteiorgan Deutsche Stimme heißt es weiter, vermummten Antifaschisten dürfe der Ordnungsdienst offen die Stirn bieten.
Die Stirn bietet der Ordnungsdienst dieser Tage vor allem JournalistInnen. So werden PressevertreterInnen immer wieder offen drangsaliert und angegriffen. Am 1. Mai 2013 attackierten Ordner aus Mecklenburg-Vorpommern in Berlin MedienvertreterInnen zunächst verbal und umzingelten sie. Ein NPD-Stadtvertreter von der Insel Usedom schlug einem Fotografen schließlich in den Bauch. Zuletzt war im Oktober bei einem NPD-Aufmarsch in Friedland zu beobachten, wie JournalistInnen abgedrängt und geschubst wurden, FotografInnen in die Kamera gegriffen wurde. Drohungen und Einschüchterungen mit militanten Auftritten oder auch persönlichen Ansprachen wie: «Wir haben eine Akte über dich!» sind inzwischen am Rande rechter Aufmärsche alltäglich. Ordner notieren bereits die Privatadressen von MedienvertreterInnen und fordern die Polizei auf, deren Ausweise zu kontrollieren und sich gemachte Fotos zeigen zu lassen, die sie sich dann selbst mit anschauen.
Dass die Mitglieder des Ordnungsdienstes aus Mecklenburg-Vorpommern keine Hemmungen vor offener Gewalt haben, zeigen nicht nur die jüngsten
Ereignisse in Aschaffenburg und Berlin. Nachdem einige Ordnungsdienstler im August in Greifswald Wahlplakate für die NPD angebracht hatten, beteiligten sie sich am Angriff auf ein Wohnhaus. Die 15 bis 20 zum Teil vermummten und mit Knüppeln bewaffneten Neonazis drohten den BewohnerInnen, einer trat gegen die eilig verschlossene Eingangstür und schlug letztlich mehrere Scheiben ein. Daran wird deutlich, dass die antrainierten Feindbilder und Verhaltensweisen nicht nur zum Demogeschehen gehören, sondern auch abseits angewandt werden.
Ansehen und Aufstieg in der Truppe
Der Ordnungsdienst fungiert als Sammelbecken der hiesigen Kader, hierarchische Strukturen innerhalb der Rechten Szene Mecklenburg-Vorpommerns werden verfestigt und Neueinsteigern ein Distinktionsgewinn gegenüber den einfachen «Kameraden» beschert. Machtgewinn und „Szene-Fame“ sind gewollte Dynamik. So sind die Ordner bei Aufmärschen dazu angehalten, ihre KameradInnen bei Verstößen gegen das gefordete Auftreten zu maßregeln. Schnell ist da zum Beispiel die Zigarette auf dem «Trauermarsch» aus dem Mund geschnipst.
Doch genießt der Einzelne nicht nur die Anerkennung oder die sanktionierende Machthoheit gegenüber den KameradInnen. Genugtuung bereitet auch, dass die Polizei die Disziplinierung anscheinend belohnt und dem Ordnungsdienst mehr Befugnisse verleiht als nötig. Wie schnell die unhinterfragten Zugeständnisse der Beamten in offene Gewalt umschlagen, zeigen allerdings die Erfahrungen am Rande zahlreicher Aufmärsche. Dass die eigentlichen Ordnungshüter dies nicht zu erkennen scheinen und trotz reichlicher Erfahrung oftmals zu unkritisch mit dem Ordnungsdienst kooperieren, ist mehr als bedenklich und bedarf einer deutlich differenzierteren Auseinandersetzung mit dem Demonstrationsgeschehen.