Markttag
vom 16. Januar 2014 in Kategorie: Artikel
Hallo Salah, stellen Sie sich bitte kurz vor?
Ich bin 41 Jahre alt und lebe mit meiner Frau und unseren drei Kindern in Mecklenburg-Vorpommern. Ich bin 1997 hierher gekommen. Seit 2000 bin ich als selbstständiger Händler unterwegs.
Wie sieht Ihre übliche Arbeit aus?
Ich bin überall in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs, öfter auch mal in Thüringen und in Sachsen-Anhalt. Ich arbeite fast jedes Wochenende, meistens auf Stadtfesten. Am Freitag geht es los, am Sonntagabend bin ich wieder zurück, aber oft auch in der Woche. Ich verkaufe vor allem Textilien und Geschenkartikel.
Wie sind Ihre Erfahrungen auf den Märkten?
Die Arbeit macht mir Spaß. Aber wir werden oft beleidigt und so. Tagsüber kommen immer mal bescheuerte Leute zu uns. Sie wollen mit uns über die Preise verhandeln und wenn das nicht so klappt, wie sie wollen, werden wir beschimpft. Aber das ist für uns nicht so schlimm. Es gibt eben gute und schlechte Menschen.
Aber abends auf den Festen besaufen sich die Leute oft und kommen dann, um Ärger zu machen. Dann geht es los mit Sprüchen wie: «Was macht ihr hier? Was habt ihr hier zu suchen?» oder «Ausländer raus!». Einige pinkeln an unseren Stand, andere versuchen die Planen aufzuschneiden und zu klauen. Wir schlafen meistens in unserem Stand, um aufzupassen. Aber man kommt nie zur Ruhe. Es gibt keine Sicherheit.
Haben Sie das Gefühl, dass diese Leute Unterschiede machen zwischen Ihnen als Migranten und deutschen Markthändlern?
Ja, das merke ich auf alle Fälle. Die sind total gegen uns. Bei Deutschen höre ich kaum, dass jemand geärgert oder beschimpft wird. Aber bei uns ist das jedes Mal so. Wir haben es nicht leicht. Ich rede jetzt vor allem von Mecklenburg.
Letztes Mal zum Beispiel waren wir bei einem Stadtfest und haben richtig Ärger gekriegt. Nach unserem Feierabend kamen besoffene Leute und haben die Planen kaputt gerissen und haben versucht, rein zukommen. Die haben gesagt: «Oh, die Kanaken. Die sind hier drinnen.» Wir haben richtig Angst gehabt und ich habe dann die Polizei alarmiert, 110 gewählt und dann ist ein Wasserrohr kaputt gegangen. Dann kamen die Feuerwehr und die Polizei und wir waren ein bisschen beruhigt. Am Ende sind die weggegangen, Polizei und Feuerwehr, und wir hatten Angst, weiter in unserem Stand zu bleiben. Wir sind dann auch weg gegangen, bis es hell geworden ist und dann sind wir wieder zurückgekehrt. Man lebt immer in Angst, jedes Mal, ständig in Angst.
Sie haben schon erzählt, dass Sie nachts oft in Ihrem Stand schlafen. Was haben Sie sonst noch für Konsequenzen für sich gezogen?
Vor einigen Jahren habe ich es erlebt, dass nachts die Nazis gekommen sind. Die haben uns mit abgebrochenen Flaschen angegriffen. Einer von uns wurde dabei am Arm verletzt. Zum Glück hat eine alte Frau die Polizei gerufen. Wir hatten solche
Angst, dass wir abgebaut haben und weggefahren sind, obwohl wir für den nächsten Tag schon die Standgebühr bezahlt hatten. Wir hatten keine Courage weiterzuarbeiten, hatten Angst, dass uns nochmal was passiert. Es ist oft so, dass niemand nachts auf dem Markt bleibt, kein einziger Inder, kein einziger Pakistaner, niemand von uns. Lieber packe ich alles wieder ein und fahre nach Hause, auch wenn das 150 oder 200 Kilometer sind. Am nächsten Tag komme ich dann ganz früh wieder und baue neu auf, damit ich bloß keinen Ärger kriege. Die zwingen uns abzuhauen, und das habe ich auch schon oft gemacht.
Gibt es unter den einzelnen Markthändlern Unterstützung in solchen Situationen?
Nur unter Migranten, aber selbst die haben Angst. Jeder ist froh, wenn er selber nicht angegriffen wird. Die hören und sehen das, aber tun nichts. Erst wenn es hell wird, kommen sie zu dir und sagen: «Ich habe gehört, was bei euch los war. Das war wirklich schlimm.» Aber das ist normal. Das sind alles Familienväter. Die kommen zum Arbeiten und Geldverdienen auf den Markt. Sie wissen nicht, was sie tun sollen, wenn etwas passiert. Wenn sie sich verteidigen und dabei den Kürzeren ziehen, liegen sie nachher vielleicht im Krankenhaus, oder sie bekommen Ärger mit der Polizei. Alle wünschen sich, dass mehr Security und Polizei da ist, damit nichts passiert.
Welche Erfahrungen machen Sie mit der Polizei?
Ganz ehrlich gesagt, sehe ich nur ganz selten die Polizei. Vielleicht noch so gegen 18 / 19 Uhr, und dann sind die weg.
Wenn Ihnen etwas passiert ist, stellen Sie Anzeigen bei der Polizei oder eher nicht?
Ich würde schon Anzeigen machen. Aber die, die uns bedrohen, sind für uns Unbekannte. Dann komme ich mit einer Anzeige nicht weit. Ich erkenne die ja nicht wieder, wenn die Polizei gekommen ist.
Ich möchte keine Anzeigen machen, ich möchte, dass mir nichts passiert. Ich möchte, dass ich sicher arbeiten kann. Ich möchte Geld verdienen, um meine Kinder zu ernähren. Ich fahre dort nicht hin, um zu klauen oder ein Verbrechen zu begehen. Ich fahre dort hin, um zu arbeiten. Ich möchte, dass jemand auf uns aufpasst. Dann brauchen wir keine Anzeige machen.
Haben Sie sonst vor Ort noch Ansprechpartner?
Der Marktleiter oder der Veranstalter gibt Dir einen Platz und bekommt sein Geld, und nachher ist ihm egal, was passiert. Er hat ja schon sein Geld kassiert und geht nach Hause. Es gibt nur ein paar Angestellte, die gucken, ob jemand neu gekommen ist und rufen ihn an, damit er kommt und Geld kassiert. Das war‘s. Die haben oft eine Security, aber die kümmert sich nur um die Bühne und um die Technik. Aber eine Security für die Händler gibt es nicht.
Was würden Sie sich konkret wünschen? Was würde Ihre Situation verbessern?
Ich würde mir wünschen, dass es auf den Märkten mehr Sicherheit für uns gibt. Warum gibt es niemanden, der uns hilft? Alle von uns haben Angst. Jedes Menschenleben ist wertvoll. Irgendwann kommt kein Händler mehr zum Stadtfest. Egal ob in Grimmen, Ueckermünde, Demmin, Grevesmühlen, Stralsund, Ribnitz, Sassnitz, Bergen.
Überall müssen wir Angst haben, aber gerade in den kleinen Städten. Viele hauen ab in den Westen. Dort ist es lockerer, dort haben sie keine Angst. Wir wollen nur sicher leben. Ich hoffe, dass es sich lohnt, dieses Interview, was wir jetzt machen, das hoffe ich. Aber ich denke nicht, dass sich etwas ändert. Kein ausländischer Bürger hat es leicht auf den Stadtfesten, vor allem, wenn er da übernachtet. Ich habe dort noch nie vor drei Uhr geschlafen, ich passe immerzu auf, ob jemand zu meinem Stand kommt. Erst wenn die Straßenreinigung kommt, ist Feierabend: Dann kann ich meine Augen schließen. Ich schlafe zwei Stunden, wenn überhaupt und dann steh‘ ich wieder auf und fange an, weiter zu arbeiten. Das ist Stress ohne Ende. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.
Haben Sie schon mal überlegt, mit dieser Arbeit aufzuhören?
Ja, schon oft. Aber was soll ich machen, um mein Geld zu verdienen. Ich habe keinen anderen Beruf erlernt. Wenn ich aufhöre, muss ich zum Arbeitsamt und bekomme Hartz IV. Ich nehme dann Geld vom Staat. So wie die, die mich zwingen, immer zu Angst zu haben. Ich möchte normal weiterarbeiten, solange ich gesund bin und auf meinen Füßen stehen kann. Ich möchte nur, dass sie mir die Chance geben, meine Arbeit in Ruhe zu machen. Ich zahle meine Steuern und ich will keinen Ärger haben, absolut nicht. Ich will keinen Cent vom Staat haben. Ich bin hierher gekommen, damit ich arbeiten und mein Geld redlich verdienen kann.
Salah, vielen Dank für Ihre Offenheit und Ihr Vertrauen.