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“Menschen sind doch keine Sache”

vom 3. Mai 2019 in Kategorie: Pressemitteilung

Viel wurde in den vergangenen Wochen wieder über Anklam und über das Ãœber-Anklam-Berichten berichtet. Das Benennen und Aufzeigen organisierter Nazistrukturen in der Hansestadt, sorgt noch immer für heftige Abwehrreflexe und Verharmlosungen.
Sich in dieser Umgebung nicht entmutigen zu lassen, klar Position zu beziehen und handfesten Anfeindungen standzuhalten war seit seiner Existenz im Jahr 2014 auch eine Herausforderung für den Demokratiebahnhof. Ein Projekt der Jugendsozialarbeit mit klarem Bekenntnis zu Menschenrechten, das allein deshalb der Naziszene seit Beginn ein Dorn im Auge war.
Fast zwei Jahre ist es mittlerweile her, dass sogenannte Molotow-Cocktails in die Räume des Jugendzentrums flogen. Wie der Nordkurier nun Ende März diesen Jahres berichtete, liegt seit November 2018 eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg vor. Angeklagt sind darin zwei Jugendliche, zur Tatzeit 14 und 16 – ihnen werden Sachbeschädigung, sowie einem der beiden Brandstiftung vorgeworfen. Als Termin für die Hauptverhandlung, die gemäß Jugendstrafrecht unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden wird, ist mittlerweile der 7. Mai vor dem Pasewalker Amtsgericht bekannt.
“Die Dauer des gesamten Prozesses und immer wieder mit den Geschehnissen befasst zu sein, ist für die Betroffenen sehr zermürbend.”, sagt Robert Schiedewitz, Mitarbeiter der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, LOBBI. Ohnehin wäre fraglich, wie das dem Jugendstrafrecht innewohnende Anliegen, nicht strafend, sondern erziehend auf die Delinquenten einzuwirken, gewahrt werden sollte, wenn ein Abschluss des Verfahrens erst knapp zwei Jahre später überhaupt in Aussicht stünde, meint der Berater. “Es ist nachvollziehbar, wenn hier bei den Betroffenen Fragen zum Funktionieren der Strafverfolgungsbehörden entstehen”, so Schiedewitz weiter. “Wenn es sich bei den Angeklagten um Angehörige der örtlichen Neonazi-Szene handelt, besteht zudem die Gefahr, dass sie sich im Endeffekt eher gestärkt sehen, wenn eine juristische Antwort auf einen derartigen Anschlag derartig lang auf sich warten lässt.”
“War ja letztlich nur ein kleiner Sachschaden”, heißt es kurz nach der Tat in mancher Runde in Anklam. Doch die jungen Menschen, die zur Tatzeit in dem Gebäude schliefen, hätten sterben können. Dennoch sehnen sie sich nicht nach einer harten Bestrafung der Täter – sie erwarten eine Anerkennung dessen, was passiert ist und der Motivation, die dahinter steckte. Eine von ihnen sagt: “Gemessen daran, was alles hätte passieren können, ist das alles für uns nur schwer zu verstehen. Menschen sind doch keine Sache.” Denn es haben eben zur Tatzeit auch sieben Menschen in dem Gebäude geschlafen, als es plötzlich brannte. Sie waren zur Durchführung von Veranstaltungen am Ort geblieben, die über das gesamte Wochenende sichtbar angekündigt waren. “Hätten wir an diesem Abend nicht im Bahnhof übernachtet, würde er heute vielleicht nicht mehr stehen und unsere Arbeit wäre zerstört. Und genau das ist es, was die Nazis wollen. Dabei schrecken sie wohl nicht einmal davor zurück, Menschenleben zu gefährden.”
Die Polizei teilte schon am Nachmittag nach der Tat mit, dass ein Molotow-Cocktail durch die normaler Weise verschlossene Eingangstür geworfen wurde. Schon einen Tag später waren die beiden Angeklagten als Tatverdächtige ermittelt. Einer der zwei Brandsätze wurde augenscheinlich gezielt auf die Holztür zu den Räumlichkeiten des Jugendzentrums geworfen, in dem die Gruppe schlief, bis einige durch die Flammen vor dem einzigen Fluchtweg wach wurden. Landesinnenminister Lorenz Caffier sprach damals in einer Pressemitteilung davon, dass die nun Angeklagten, eine Gefährdung von Leben und Gesundheit der im Gebäude Ãœbernachtenden in Kauf nahmen. Die Verantwortlichen des Jugendclubs berichteten, dass nur dadurch dass einige des sich im Haus Befindenden wach wurden und geistesgegenwärtig handelten, Schlimmeres verhindert wurde.
So bleibt ihnen etwas mehr in Erinnerung als nur ein Sachschaden.