Minderjährige als Opfer rassistischer Gewalt
vom 1. Juni 2008 in Kategorie: Artikel
Herr Louw, kann bei Auseinandersetzungen unter Kindern überhaupt von rassistischer Gewalt gesprochen werden?
Ja, ich denke schon, denn vor allem für die Betroffenen fühlt es sich so an. „Normales“ Bullying wird hier verstärkt durch gesellschaftlich verankerte Vorurteile und Abwertungen gegenüber bestimmten Gruppen. Sicher kann man in diesem Alter nicht von einem internalisierten Rassismus ausgehen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder Begrifflichkeiten und Handlungsweisen ausprobieren, die sie bei ihren Eltern und anderen wichtigen Bezugspersonen kennengelernt haben. Dazu gehören dann eben auch Stereotype aus der Erwachsenenwelt, welche die Kinder auf der kognitiven Ebene übernehmen.
Welche psychischen Aspekte spielen bei sehr jungen Betroffenen im Gegensatz zu erwachsenen Gewaltopfern eine Rolle?
Der bedeutsamste Unterschied sind für mich die Bewältigungsmöglichkeiten von traumatischen Erlebnissen. Während Erwachsene meist psychische und soziale Strategien finden, um mit diesem Einbruch einen adäquaten Umgang zu finden, ist bei sehr jungen Menschen ein solches Verarbeitungsgerüst noch nicht entwickelt. Eine gereifte Persönlichkeit kann die Gewalterfahrung als isoliertes Ereignis betrachten. Kinder hingegen nehmen den Bedrohungszustand erfahrungsgemäß als überwältigend, unlösbar und langanhaltend wahr. Zudem besteht die Gefahr, dass derartige Erfahrungen die weitere Entwicklung und Identitätsbildung negativ beeinflussen. Das Gefühl, ein „Opfer“ zu sein oder die Zuschreibungen der Täter können dauerhaft ins Selbstbild integriert werden.
Wie stellt sich die besondere Situation von jungen MigrantInnen dar, speziell von Flüchtlingskindern?
Zunächst einmal haben ja MigrantInnenkinder allgemein kaum Einflussmöglichkeiten auf ihr „Opfermerkmal“ wie Hautfarbe, Sprache oder Herkunft. Insbesondere die Lebensbedingungen von Familien, die sich im Asylverfahren befinden, sind außerdem von rechtlicher Unsicherheit, mangelnden Zukunftsaussichten, schwierigen Wohnverhältnissen und Eintönigkeit geprägt. Zu bedenken sind auch mögliche psychische Vorbelastungen durch Gewalt- und Bedrohungserlebnisse in den Herkunftsländern. Vielfach haben die erwachsenen Familienmitglieder ebenfalls schon Rassismuserfahrungen in Deutschland gemacht – von subtilen Diskriminierungen bis hin zur Gewalt. Nicht zuletzt managen die Kinder durch bessere Deutschkenntnisse oft die Alltagsprobleme der ganzen Familie. Diese Gesamtsituation stellt nicht nur eine Überforderung dar. Sie führt auch dazu, dass Kinder eigene Verletzungen und Bedürfnisse in den Hintergrund stellen und nicht die nötige Beachtung erfahren.