Neonazis und “Zensus 2011”
vom 10. Mai 2011 in Kategorie: Artikel
Seit dem 9. Mai 2011 wird bis Ende Juli in der Bundesrepublik eine Bevölkerungszählung durchgeführt – der sogenannte Zensus 2011. Dazu werden unter anderem einzelne Haushalte ausgewählt und die BewohnerInnen beispielsweise nach Ausbildung, Familienstand und Migrationsgeschichte befragt (PDF, Musterfragebogen). In Mecklenburg-Vorpommern betrifft dies etwa 150.000 Menschen. Der Zensus ist eine Zwangsbefragung – es besteht eine Auskunftspflicht der ausgewählten Personen.
Aufrufe in der rechten Szene
Für die Befragungen werden “Erhebungsbeauftragte” eingesetzt, die für die Interviews jeweils eine Aufwandsentschädigung von 7,50 € erhalten. In verschiedenen Bundesländern haben Neonazis aufgerufen, sich als Erhebungsbeauftragte/r zu bewerben.
Die NPD Sachsen verspricht sich davon, “Eindrücke von den persönlichen Lebensverhältnissen” von AntifaschistInnen zu bekommen. Die NPD Nordrhein-Westfalen verfügt nach eigenen Angaben über rund 20 Mitglieder und Sympathisanten, die als Erhebungsbeauftragte angenommen wurden. Die NPD Mecklenburg-Vorpommern rief ebenfalls auf, den Zensus zu nutzen – es könnten sich dabei auch “sachdienliche Hinweise auf illegale Ausländer” ergeben. Dabei wurde auf Erfahrungen der “Hamburger Liste für Ausländerstopp” bei der Volkszählung 1987 verwiesen. Der Anklamer NPD-Funktionär Michael Andrejewski war Mitglied dieser Organisation. Im Aufruf heißt es: “Die Aktion blieb nicht ohne wertvolle Erkenntnisse, auch wenn natürlich keiner der Interviewer gegen seine Pflicht der Verschwiegenheit verstossen hat.”
Interviewer können sich nicht aussuchen, wen sie befragen
Die statistischen Ämter können BewerberInnen ablehnen, wenn “Anlass zu Besorgnis besteht, dass Erkenntnisse aus der Tätigkeit als Erhebungsbeauftragte zu Lasten der Auskunftspflichtigen genutzt werden”. In Sachsen und NRW war dies bei Bewerbungen von NPD-Funktionären bereits der Fall. Ende April gab das Statistische Amt Mecklenburg-Vorpommern auf Nachfrage von LOBBI an, dass bei den Bewerbungen bislang keine Mitglieder der rechten Szene aufgefallen seien.
Für InterviewerInnen aus der rechten Szene wäre die Wahrscheinlichkeit aber auch gering, dass sie genau ihre “Zielgruppen” für die Befragung erreichen. Zum einen werden nur etwa 10 % der Bevölkerung befragt. Die zu befragenden Haushalte werden außerdem per Zufallsverfahren ermittelt. In Gemeinschaftsunterkünften, wie etwa StudentInnenwohnheimen, werden allerdings alle BewohnerInnen befragt. Die InterviewerInnen können sich nach Auskunft des statistischen Amtes außerdem nicht aussuchen, welche der ausgewählten Haushalte sie befragen.
Fragebögen können online ausgefüllt werden
Sofern sich dennoch Neonazis unter den Erhebungsbeauftragten befinden sollten, kann das Risiko eine Preisgabe persönlicher Daten an die rechte Szene etwas minimiert werden.
Die für die Befragung ausgewählten Haushalte werden zuvor per Brief mit einem Terminvorschlag für das Interview informiert. Der/die Erhebungsbeauftragte kommt nicht unangekündigt und muss sich ausweisen. (Beispielausweis) . Es besteht bei diesem Termin die Möglichkeit, die Fragebögen zwar entgegen zu nehmen, sie dann aber selbst schriftlich bzw. online auszufüllen und zu verschicken. Der/die Interviewer/in erfragt dann nur Name, Geburtsdatum und Geschlecht aller in der Wohnung lebenden Personen und übergibt dann die entsprechende Anzahl der Fragebögen. Es findet dann keine weitere persönliche Befragung durch eine/n InterviewerIn statt. Der/die Erhebungsbeauftragte muss dabei nicht in die Wohnung gelassen werden. Für die Übergabe kann auch ein anderer Ort als die Wohnung vereinbart werden.
Offenbar müssen die Fragenbögen aber zur “Existenzfeststellung” persönlich vom Ergebungsbeauftragten übergeben werden und dürfen nicht einfach in den Briefkasten geworfen werden. Allerdings wird an anderer Stelle (PDF, Seite 5) angegeben, dass nach Versäumen des Termins und auch eines zweiten schriftlichen Terminvorschlags die Fragebögen per Post zugestellt werden.
Bei Bedenken über die Zuverlässigkeit eines/r Erhebungsbeauftragten kann nicht zuletzt das Statistische Amt informiert werden. (Kontakt) Verstöße gegen die Geheimhaltungspflicht sind strafbar.