Nicht nur ein Farbklecks an der Wand
vom 1. September 2010 in Kategorie: Artikel
Teer und Federn
Parolen an den „Haustüren der hiesigen Lokalpolitiker“ seien gut geeignet, „Angst“ zu verbreiten, schlug schon 2003 ein Anti-Antifa Text im deutschen Combat 18-Magazin Stormer seinen LeserInnen vor. Dass diese beabsichtigte Wirkung bei den Betroffenen auch eintritt, steht außer Frage.
Die Sachbeschädigungen sind offiziell gar keine Gewaltdelikte – nur in Verbindung mit Brandstiftung oder Sprengstoffexlosionen werden solche Attacken von der Polizei entsprechend gewertet. Um Bagatellen handelt es sich aber mitnichten. Aus der Beratungsarbeit wissen die LOBBI-MitarbeiterInnen um die Auswirkungen, wenn Menschen mit zielgerichteten Sachbeschädigungen konfrontiert sind. Es geht nicht nur um den Farbklecks an der Wand oder eine kaputte Fensterscheibe. Neben diesen, oft nicht unwesentlichen, materiellen Folgen, wird der Angriff von den Betroffenen konkret auf die eigene Person bezogen. Insbesondere das Eindringen in den sozialen Nahraum, wie etwa Wohnhaus oder Arbeitsplatz, können bei einigen Menschen ernsthafte Bedrohungsgefühle auslösen. Ähnlich wie bei Körperverletzungen werden individuelle Bewältigungsstrategien für diese psychischen Belastungen gesucht. Diese können darin bestehen, bestimmte Orte zu meiden, das politische Engagement einzuschränken oder sich nicht mehr öffentlich zu positionieren. Einige Landtagsabgeordnete der betreffenden Wahlkreisbüros schätzen die Vorfälle als „belastend“ oder auch „beängstigend“ ein. Der Bedrohung ausgesetzt sind aber auch ihre MitarbeiterInnen, die sich weitaus häufiger in diesen Einrichtungen aufhalten. Das subjektive Gefühl der Unsicherheit entsteht dabei unabhängig von einer objektiven Gefahr weiterer Anschläge oder gar tätlicher Angriffe auf die eigene Person.
Wie ernst die Drohkulisse sein kann, belegen zwei Beispiele aus Wismar. Bei einem Anschlag auf ein Parteibüro der Linkspartei wurde das Gebäude mit Teer und Federn beschmiert. Diese Metapher ist für die Betroffenen leicht als Lynchjustizphantasie und „Für vogelfrei erklären“ zu entschlüsseln. Mitglieder der Grünen wurden in der Hansestadt beim Aufhängen von Wahlplakaten sogar tätlich angegriffen.
Über den Einzelfall hinaus
Mit „Nicht einschüchtern lassen“ oder „Motivationsschub, sich weiter gegen rechts zu engagieren“ werden einige PolitikerInnen in Presseberichten zitiert. Ob diese Apelle ausreichen, darf bezweifelt werden. Neben den individuellen Folgen für die direkt Betroffenen wirken rechte Angriffe fast immer über den Einzelfall hinaus und sind mit kollektiven Effekten verbunden. Nicht nur die exponierten Parlamentsangehörigen, sondern auch die Parteimitglieder in den Orts- und Kreisverbänden nehmen die Bedrohung wahr. Verstärkt wird diese Unsicherheit durch Aktionen der rechten Szene, die sich unterhalb der Strafbarkeitsgrenze bewegen. Dazu zählen die demonstrative Anwesenheit und Wortergreifung bei Veranstaltungen, das Fotografieren bei AntiRechts-Aktivitäten oder die Nennung von Namen auf rechten Internetseiten oder in Zeitungen. Es ist in Mecklenburg-Vorpommern vielfach möglich, sich gegen Neonazis und extrem rechte Einstellungen zu engagieren und zu positionieren – ohne gleich zum Ziel von Angriffen zu werden. Dennoch ist eine Tendenz bei KommunalpolitikerInnen und Verwaltungsangestellten zu beobachten, sich in dieser Beziehung nicht „zu weit aus dem Fenster zu lehnen“.
Ausbleibende Reaktionen
Mit dem Anstieg der Anschlagszahlen stieg auch das Interesse der Medien, bis hin zu Reportagen in bundesweiten Zeitungen und im Fernsehen. Auch die betroffenen LandespolitikerInnen verurteilten die Anschläge. Andere Reaktionen waren im Zusammenhang mit der Anschlagserie allerdings kaum öffentlich wahrnehmbar. Kirchen, Gewerkschaften, Antifagruppen, BürgerInnenbündnisse oder andere zivilgesellschaftliche Akteure schwiegen weitgehend zu den Vorfällen. Dies ist auch und gerade bei Angriffen auf andere Zielgruppen rechter Gewalt zu beobachten. Bei der Anschlagsserie auf Parteibüros überraschen die fehlenden Reaktionen jedoch besonders, würde man doch gerade hier eine größere Lobby vermuten, als etwa bei angegriffenen Punks oder Flüchtlingen.
Aber auch bei den Parteien selbst gab und gibt es zum Teil eine selektive Wahrnehmung. Die Anschläge auf Einrichtungen der Linkspartei in den vergangenen Jahren fanden, wenn überhaupt, nur lokales Interesse. Erst mit der eigenen Betroffenheit äußerten die verschiedenen Parteien sich stärker. Noch im Mai interessierte sich ein sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter in einer kleinen Anfrage nur für die Bewertung der Bundesregierung von Anschlägen auf Büros der eigenen Partei. Hinzu kommt, dass PolitikerInnen und Parteien die Auseinandersetzung um die rechte Szene im Land dominieren und dabei sehr stark auf repressive polizeiliche Strategien setzen. Jetzt sind die Parteien selbst das Ziel und die Erfolgschancen der Ermittlungen bei Sachbeschädigungen gemeinhin sehr gering. Es zeigt sich, dass Parlament und Polizei nicht die einzigen, ja nicht mal die wichtigsten, Akteure im praktischen Umgang mit Neonazis sein dürfen.
Viele kleine Raumgewinne
Das fehlende Feedback ist in zweifacher Hinsicht problematisch. Zum einen für die betroffenen PolitikerInnen und ihre MitarbeiterInnen: die öffentliche Ächtung dieser Attacken, sowie praktische Unterstützung und Solidarisierung von außen sind die Basis für einen aktiven und erfolgreichen Umgang mit Bedrohungssituationen. Geschieht dies nicht, dürften die Täter ihr Ziel der Einschüchterung in vielen Fällen erreichen. Auf der anderen Seite führt mangelnde Gegenwehr aber auch zu einer Normalisierung und damit Duldung extrem demokratiefeindlicher Attacken. Nimmt man die sogenannte Politikoder Parteienverdrossenheit in der Bevölkerung ernst, kann nicht vorausgesetzt werden, dass sich die Täter und ihr Umfeld durch die Sachbeschädigungen an Parteibüros in der Bevölkerung selbst diskreditieren. Zwar dürfte es sich bei den Anschlägen nicht um „Bürgerproteste“ handeln, wie die rechte Szene glauben machen will. Aber bislang kann sie diese Darstellung vielfach unwidersprochen verbreiten. Und tatsächlich dürfte es Anknüpfungspunkte zu unzufriedenen und demokratiefeindlichen Bevölkerungsschichten geben.
Die Neonazigruppierungen stehen damit natürlich nicht vor einer „Machtergreifung“. Doch die rechte Szene kann viele kleine politische und geografische Raumgewinne vorweisen, die durch agressive Propaganda und Verdrängung von GegnerInnen sowie eine verstärkte soziale, kulturelle und lokalpolitische Verankerung möglich wurden. Die derzeitigen massiven Einschüchterungsversuche gegenüber etablierten politischen Strukturen sind dabei nicht nur Ausdruck eines gestiegenen Selbstbewusstseins, sondern auch eine qualitative Steigerung ihres Aktionsrahmens.
Die Parteien, aber vor allem zivilgesellschaftliche Akteure, müssen dazu offensive Gegenstrategien entwickeln. Dabei geht es nicht um die Forderung nach Sympathiebekundungen für PolitikerInnen, deren Politik oder das derzeitige Demokratiemodell. Aber gegen Angriffe von reaktionären, nationalsozialistisch orientierten Rechten sind sie allemal zu verteidigen.