(Noch) Nicht viel bewegt
vom 3. Juli 2017 in Kategorie: Artikel
Inspiriert durch die Aktionen der französischen „Génération Identitaire“ gründete sich die erste im engeren Sinne identitäre Gruppierung in Deutschland 2012.
Kennzeichnend für die „Identitäre Bewegung“ (IB) sind vier Merkmale: Jugendlichkeit, Aktionismus, Popkultur und Corporate Identity. Anstatt mit Gesprächszirkeln oder politischen Pamphleten versuchen sie, mit poppigen Störaktionen wie Flashmobs oder Hausbesetzungen öffentlich auf sich aufmerksam zu machen. Mehr als die meisten klassischen Neonazi-Kameradschaftsstrukturen nutzen sie dabei die Vorteile der neuen Medien. Auf Facebook-Seiten, Blogs oder in Youtube-Channels werden kontinuierlich Berichte und Videos von den durchgeführten Aktionen veröffentlicht, und in regelmäßigen Beiträgen thematisieren sie sowohl Diskussionsstände zu ideologischen Fragen als auch aktuelle politische Geschehnisse. Im Gegensatz zum teils agressiven Vorgehen anderer Neonazis legen sie einen professionellen Umgang mit Pressevertreter*innen an den Tag. So gibt das Führungspersonal der IB gern Interviews oder lädt Medien zu niedrigschwelligen Aktionen ein. Allgegenwärtig, sowohl im Webauftritt als auch auf Plakaten, Flyern oder Aufklebern, ist immer das schwarze Lambda auf gelben Untergrund, unter dem sich die Gemeinschaft überregional und international vereinigt.
Ihre Ideologie ist vor allem von „ethnopluralistischen“ Vorstellungen geprägt, in denen Zuwanderung eine Gefahr für jeweils die eigene Kultur, Nation und Identität darstellt. Anstatt offen den Nationalsozialismus zu propagieren und Rassen zu konstruieren, versucht die „Identitäre Bewegung“ so unterschwellig eine Diskursverschiebung mit moderneren und vermeintlich positiv besetzten Begriffen.
Auch wenn die „Identitäre Bewegung“ alles versucht, ihr Nazi-Image mit einem smarten Lächeln abzuschaffen und sich gewaltlos geriert, bedient sie sich in der rechten Szene altbewährter Mittel, um ihre Ziele durchzusetzen. Nicht selten sind Einschüchterung und Gewalt die Instrumente gegen politische Feinde. Im vergangenen Sommer kam es bei einem Großaufmarsch der „Identitären Bewegung“ in Wien zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Im Januar zuvor lauerte eine Gruppe führender Österreichischer Identitärer den Teilnehmer*innen einer antifaschistischen Kundgebung auf und ging bewaffnet auf sie los.
Gut vernetzt
Seit nunmehr drei Jahren betreibt auch die regionale Gruppe IB MV einen Webauftritt via Facebook und das Internetprojekt „Kontrakultur MV“. Die Anfänge verliefen schleppend, so dass sie mit Veranstaltungen, wie einem monatlich stattfindenen Stammtisch, einer Ostseewanderung oder einem Sommerlager auf Werbetour ging. Mittlerweile hat sich ein fester Personenkreis gebildet – die Anhänger*innenschaft setzt sich aus Burschenschaftler*innen, ehemaligen NPD-Anhänger*innen, Personen aus dem Umfeld völkisch-nationaler Siedlungsprojekte, ehemaligen Kameradschaftsmitgliedern, aber auch aus Personen ohne nennenswerte politische Vergangenheit zusammen.
Zum Personal gehören beispielsweise die drei Rostocker Studierenden Daniel Fiß, Hannes Krünägel und Eike Liefke. Ersterer ist ehemaliger NPD-Aktivist und mittlerweile Mitglied im Bundesvorstand der »Identitären«. Krünägel fungiert als »Regionalleiter« des Ablegers im Nordosten, und Liefke ist neben ihren IB-Aktivitäten Beisitzerin im Landesvorstand der AfD-Jugendorganisation »Junge Alternative«. Aus den Führungskreisen der neurechten Partei erfährt die Gruppe seit geraumer Zeit Unterstützung. Neben Facebook-Likes und Solidaritätsbekundungen wurden mit Albert Glas und Jan-Phillip Tadsen mindestens zwei Aktivisten der »Identitären Bewegung« von der Landtagsfraktion mit politischen Posten geadelt – als Mitarbeiter des Fraktionsvizes Holger Arppe und als Referent im Landesinnenausschuss.
Erstmals öffentlich in Erscheinung getreten sind die »IBster«, wie sie sich selbst in Anspielung an ihr vorgeblich »hippes« Auftreten nennen, während der Warnemünder Woche im Juli 2015. Landesweit versucht die Gruppierung mit inszenierten Kurz- und Kleinstaktionen, möglichst viel Aufmerksamkeit zu provozieren oder zumindest sich selbst herbeizuschreiben. Die Aktivitäten reichen dabei vom Verteilen rassistischer Flyer im Froschkostüm an der Zinnowitzer Promenade bis hin zum Fototermin im Rostocker Stadthafen, samt Rauchfackeln und Spruchbanner. Regionale Schwerpunkte waren bislang vor allem Rostock sowie das nahegelegene Ribnitz-Damgarten, wo eine Kundgebung mit knapp 100 Teilnehmenden den einzigen nennenswerten Aufmarsch der Gruppe in M-V darstellt.
Im Zuge der Debatte um das rassistische und antisemitische Weltbild des Namenspatrons der Greifswalder Universität trat die „Identitäre Bewegung“ im Schulterschluss mit der AfD erstmalig öffentlich wahrnehmbar im Osten des Landes auf. „Identitäre“ aus Mecklenburg-Vorpommern waren 2016 auch maßgeblich an einer Aktion in den Büroräumen der Amadeu-Antionio-Stiftung und im Mai 2017 an einer versuchten Besetzung des Bundesjustizministeriums beteiligt.
Derartige Aktionen verschaffen den wenigen Aktiven viel mediale Resonanz – eventuelle strafrechtliche Verfolgung ist Teil der Rechnung.
Große Pläne…
Die kommenden Monate werden für die Identitären im Nord-Osten ereignisreich. Die „Identitäre Bewegung Deutschland“ (IBD) hat angekündigt, ihren Hauptsitz nach Rostock zu verlegen. Grund dafür soll die hohe Dichte an IB-Funktionären sein, die in der Region wohnen. Im Gespräch sei ein Haus in der Rostocker Innenstadt. In diesem sollen zukünftig Lesungen, Veranstaltungen und Methoden-Trainings stattfinden.
Vermutlich spekuliert die IB darauf, dass seitens der Rostocker Stadtverwaltung mit keinerlei Problemen zu rechnen ist. So brüstet sich der Pressesprecher der IBD Daniel Fiß damit, dass sich Mitglieder der „Unabhängigen für Rostock“ (UfR), aus der auch der Rostocker Oberbürgermeister Roland Methling stammt, mit der IB MV zum inhaltlichen Austausch getroffen haben. Die UfR dementiert dies und spricht von einem zufälligen Zusammentreffen im gleichen Restaurant. Ein weiterer Schritt in die Seriösität der IB MV ist die Gründung des Vereines „Heimwärts e.V.“ im Oktober 2016 mit Sitz in Rostock. Dieser ermöglicht es den IB-Mitgliedern, unter dem Deckmantel des Vereins Räumlichkeiten anzumieten oder Veranstaltungen durchzuführen.
… kleine Basis
Natürlich bietet die »Identitäre Bewegung« Spielräume für Neues und spricht junge, rechte Jugendliche an, wo Altherren-Strukturen wie die NPD Grenzen aufzeigen oder Berührungsängste mit subkulturell geprägten Neonazi-Szenen bestehen.
Jedoch sollte man nicht dem von der IB selbst propagierten Schein aufsitzen, dass es sich um eine neue Massenbewegung handelt, und ihr nicht mehr Aufmerksamkeit schenken, als ihr wirklich gebührt. Viel mehr als zwei dutzend einheimische Aktive sind in Mecklenburg-Vorpommern bei Aktionen nicht aufgetreten. Ihre erhoffte Wirkungsmacht ist so nicht zu erreichen.
Die kommenden Monate werden zeigen, welchen Weg die IB in Mecklenburg- Vorpommern geht. Wollen sie als kleine elitäre Kaderschmiede ideologisch gefestigen AfD-Nachwuchs produzieren und mit ein paar poppigen PR-Aktiönchen Aufmerksamkeit erregen? Oder sehen sie ihr Ziel darin, der zunehmend lethargisch scheinenden Neonaziszene des Landes gerade im jugendlichen Sektor neuen Schwung zu geben und tatsächlich eine Bewegung zu bilden?