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Rassistischer Mobilisierung klar entgegentreten

vom 27. Januar 2023 in Kategorie: Pressemitteilung

Eine von einem rassistischen Mob gekaperte Einwohner:innenversammlung am vergangenen Mittwoch im vorpommerschen Loitz und gestern der Versuch eines rassistischen Aufmarsches, die Kreistagssitzung in Grevesmühlen zu stürmen, machen aktuell bundesweit Schlagzeilen. Die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, LOBBI, sieht eine Unterschätzung von Dynamik und Aggressivität der rassistischen Mobilisierung und fordert Lehren aus vergangenen Debatten.

Das Entsetzen über die Ereignisse in Loitz und Grevesmühlen ist berechtigt. Verstörend ist das Selbstbewusstsein und die Aggressivität, mit der ein rassistischer Mob dem Podium einer Einwohner:innenversammlung oder einer Kreistagssitzung entgegentritt – doch dass dies die politischen Verantwortungsträger:innen zu überraschen scheint, ist besorgniserregend.
Der demokratiefeindliche Nährboden und die Potenziale, die durch kontinuierliche Anti-Corona-Maßnahmen- und Energieproteste entstanden sind, werden durch den Rassismus in einer Debatte um zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete zu einer noch größeren Gefahr. Dass vielerorts verharmlost oder geleugnet wurde, in welchem Ausmaß die organisierte Neonaziszene in den vergangenen Jahren schon Teil oder zumindest Stichwortgeberin dieser Protestwelle war, sorgt nun für die besorgniserregende Geschwindigkeit der Eskalation.
„Wer noch immer Unsicherheitsgefühle und unzureichende Straßenbeleuchtung oder fehlende Teilhabe für die vordergründigen Probleme hält, verkennt auf fatale Weise die Situation.“, sagt Robert Schiedewitz, Mitarbeiter der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt, LOBBI. „Die rassistischen Horrormärchen waren in den Hintergrund der Solidarität getreten, die genau so lange hielt, wie die Geflüchteten weiße Familien waren.“
Der Ablauf und einige Statements im Nachgang der Einwohner:innenversammlung in Loitz lassen den Schluss zu, dass aus den rassistischen Mobilisierungen von 2003 und um 2015 nichts gelernt wurde. Allein das fehlende Aufzeigen eindeutiger Grenzen des Sagbaren durch eine konsequente Moderation, hat Neonazis und Rassist:innen eine Plattform geboten – Morddrohungen und Lynchaufrufen wurde nichts entgegengesetzt.
Auch die anwesende Polizei hat das justiziable Verhalten nicht sanktioniert, sondern beobachtet.

„Solche Ereignisse schwächen die engagierte Zivilgesellschaft, die dringend gebraucht wird, nachhaltig und gefährden die Menschen in den späteren Unterkünften unmittelbar. Dem Mob dann im Nachgang Zugeständnisse machen zu wollen, oder offen rassistische Äußerungen in Sorgen zu paraphrasieren ist unsolidarisch und gefährlich“, so Schiedewitz weiter. Der Brandanschlag auf eine Gemeinschaftsunterkunft in Groß Lüsewitz im Landkreis Rostock im Herbst 2014 war der Beginn einer drastischen Zunahme rassistischer Angriffe in den beiden Folgejahren. Auch dort stand eine Einwohner:innenversammlung, in der teilweise offen rassistische Äußerungen geduldet wurden, am Anfang.
Ebenso unverständlich ist es, dass auch gestern Abend in Grevesmühlen das Mobilisierungspotential der regionalen Neonaziszene anscheinend derart unterschätzt wurde. Es fehlte für einen Moment nur an der Entschlossenheit des rechten Aufmarsches, dann wäre dieser in den Kreistag eingedrungen, um eine Entscheidung für die Unterbringung von Geflüchteten in der kleinen Gemeinde Upahl zu verhindern.
Dem gestrigen Abend ging auch hier ein politischer Prozess voraus, der daran zweifeln lässt, dass ähnliche Gemengelagen in der Vergangenheit Erfahrungswissen erzeugen konnten, mit dem bestimmte Fehler hätten vermieden werden können.
Kritisch zu sehen ist die fehlende Würdigung des sogenannten „Dschungelheim-Erlasses“ von 2003, der eine Unterbringung von Geflüchteten in abgelegenen Ortschaften, denen jegliche Infrastruktur und vor allem auch Schutz fehlt. Doch darum ging es den Protestierenden vor dem Kreistag ausdrücklich nicht.
Auch das Hin-und-Her-Schieben der Verantwortung zwischen den Akteur:innen in Gemeinde, Kreis, Land und Bund ist ein wiederkehrendes Muster in den Debatten um die Unterbringung Geflüchteter. Das gegenseitige Wegducken, Schuldzuweisen und fehlende Klarheit in der Sprache liefert Rassist:innen zusätzlich das Argument eines Politikversagens, mit dem sie die Situation weiter anheizen. Dies gefährdet engagierte Personen vor Ort zusätzlich und erschwert konsequentes Entgegentreten.
In dieser Woche wurden Chancen vertan und es wurden Bilder geschaffen, die sich kaum noch einfangen lassen. Deshalb ist nun Aufarbeitung notwendig.
Die organisierte Neonaziszene und ihre Sympathisant:innen werden die Ereignisse hingegen als Erfolge verbuchen. Schon jetzt mobilisieren sie zu einer Einwohner:innenversammlung am 3. Februar nach Grevesmühlen. Veranstaltungen wie diese können entscheidend sein, die Dynamik der rassistischen Mobilisierung zu bremsen. Verantwortungsträger:innen müssen kompetente Beratung bekommen und auch annehmen, um sich nicht erneut vom Mob treiben zu lassen. Es ist ihre Aufgabe, die Sorgen der Menschen, die bedroht wurden und potenziell bedroht sind ernst zu nehmen, nicht die der Rassist:innen. Es ist aber auch die Aufgabe der Gesamtgesellschaft, in breiten Bündnissen gegen die bevorstehende rassistische Mobilisierungswelle aufzutreten.