Rechte Gewalt nimmt 2022 deutlich zu – LOBBI warnt vor gefährlicher Dynamik
vom 13. April 2023 in Kategorie: Artikel, Jahresbericht, Pressemitteilung
Der Beratungsverein für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, LOBBI, registrierte im vergangenen Jahr 114 Angriffe, von denen mindestens 146 Menschen direkt betroffen waren. Damit ist im Vergleich zu den Vorjahren wieder ein drastischer Anstieg zu verzeichnen (2021: 66 Angriffe mit 103 Betroffenen). Bezogen auf die Einwohner:innenzahl wurden für 2022 nur in Thüringen mehr rechte Angriffe registriert.
Bei 82 der Angriffe handelte es sich um gefährliche oder einfache Körperverletzungen. 19 Mal zählte die LOBBI rechts motivierte Bedrohungen oder Nötigungen. Hinzu kommen sechs Fälle massiver Sachbeschädigung und in zwei Fällen waren es Polizeibeamte, die Gewalt ausübten.
Im Vergleich zu den Vorjahren ist beinahe wieder das hohe Niveau der Zeit der rassistischen Mobilisierungswelle ab 2015 erreicht (2015: 130; 2016: 149).
Seitdem ist auch Rassismus das häufigste Tatmotiv. So waren auch im Jahr 2022 mit 62 Angriffen mehr als die Hälfte rassistisch motiviert. Mit 27 Angriffen (24%) auf vermeintliche politische Gegner:innen und politische Verantwortungsträger:innen setzt sich der Trend der vergangenen vier Jahre fort, in denen diese Betroffenengruppe wieder vermehrt in den Fokus rückte (2021: 23%; 2019: 10%). Auffälliger ist jedoch die Zunahme an Angriffen auf Journalist:innen, die zumeist im Zusammenhang mit rechter Mobilisierung stehen. So wurden insgesamt sieben Angriffe auf Pressevertreter:innen gezählt, die sich allesamt am Rande rechter Aufmärsche abspielten (2021: 0; 2020: 2).
Das Aufmarschgeschehen hat sich seit Beginn der Proteste gegen die Anti-Corona-Maßnahmen weiter gewandelt. Die Organisationsstrukturen der Corona-Leugner:innen und Verschwörungsideolog:innen haben sich gefestigt und inhaltlich mit Energiepreis- und vermeintlichen Friedensprotesten mehrfach erweitert. Das Primärziel sind zwar mittlerweile eindeutig der Staat und seine Institutionen sowie ihre Vertreter:innen. „Allerdings lässt die zunehmende Radikalisierung dieses Spektrums mit großer Sorge auch auf die aktuellen Mobilisierungen gegen die Unterbringung Geflüchteter vielerorts blicken“, sagt Robert Schiedewitz, Mitarbeiter der LOBBI. „Nach vermeintlichen Unsicherheiten durch Pandemie und Ukraine-Krieg trifft diese Szene nun auf eines der ideologischen Kernthemen rechter Gewalttäter:innen und ihrer Stichwortgeber:innen: Rassismus“, so Schiedewitz weiter, „Die Agitator:innen hinter der Gewalt haben sich in den vergangenen Jahren vernetzt, professionalisiert und besorgniserregend radikalisiert. Klare Haltung und konsequentes Handeln aus Zivilgesellschaft und Politik sind gefragt, um diesen Entwicklungen zu begegnen.“
Absoluter Schwerpunkt der registrierten rechten Gewalt in 2022 ist abermals die Hansestadt Rostock mit 34 Angriffen (2021: 21). Weitere deutliche Zunahmen sind in Nordwestmecklenburg mit 22 Angriffen (2021: 10) und Vorpommern-Greifswald mit 13 Angriffen zu verzeichnen (2021: 5). Nach den vergleichsweise geringen Angriffszahlen im Vorjahr hat das Angriffsgeschehen landesweit wieder zugenommen. Ursächlich dafür sind neben Lockerungen der Infektionsschutzmaßnahmen und dem damit verbundenen Wiederaufleben gesellschaftlicher Aktivitäten eben auch die Verschärfung politischer Krisen und deren Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima.
Die LOBBI unterstützt in Mecklenburg-Vorpommern seit 2001 Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt bei der Bewältigung der Tatfolgen und dokumentiert darüber hinaus diese Angriffe. Im Jahr 2022 konnte die LOBBI insgesamt 188 Personen in Folge rechter Angriffe (71 Beratungen) sowie zu anderen Problemlagen unterhalb der Gewaltschwelle (71 Beratungen zu u.a. Diskriminierungen, Beleidigungen, Racial Profiling) beraten und Unterstützung anbieten.