“Wir können das nicht ignorieren”
vom 15. Mai 2014 in Kategorie: Artikel
Hallo Roy, du bist im Landesverband für Schwule und Lesben MecklenburgVorpommern Gaymeinsam e.V. aktiv? Kannst du eure Arbeit bitte kurz schildern?
Der Landesverband ist der Dachverband der lesbisch/schwulen Vereine in Mecklenburg-Vorpommern, dient als Interessenvertretung und existiert seit 1990. Hauptaufgaben sind die fachliche Unterstützung der Vereine vor Ort, Fort- und Weiterbildung, Aufklärung, politische Interessenvertretung und landesweite Aktionen. Die jüngste Aktion ist das Netzwerk gegen Homophobie und die Erstellung eines Landesaktionsplanes.
Hast du das Gefühl, dass sich durch eure Arbeit aber auch durch den öffentlichen Diskurs seit 1990 wesentliches getan hat? Gibt es heute mehr Offenheit für das Thema?
Ja, es wurde eine Menge erreicht. Es gab Verbesserungen auf vielen Ebenen, etwa im Bereich der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Inzwischen sind auch die steuerrechtlichen Fragen geklärt, das heißt, gleichgeschlechtlich Verpartnerte haben die gleichen Steuerprivilegien wie heterosexuelle Paare. Unsere Forderung ist natürlich die vollständige Gleichstellung mit der Hetero-Ehe. Die ist noch nicht realisiert. Auch das Adoptionsrecht für Lesben und Schwule ist noch nicht geklärt. Aber insgesamt haben wir eine ganze Menge erreicht und die Öffentlichkeit ist ja, was das Thema Homosexualität betrifft, viel toleranter geworden als vor 20 Jahren. Das merken wir auch in den Projekten, die wir machen.
Diskussionen über Homosexualität, etwa im Sport, oder über die feste Integration des Themas in schulische Lehrpläne, haben kürzlich wieder für heftige Kontroversen gesorgt. Spürt ihr die Auswirkungen von solchen Debatten in eurer Arbeit?
Ja, natürlich. So hatte etwa die Ostsee-Zeitung über die Initiative zur Erweiterung der Lehrpläne berichtet. In Leserbriefen wurde dann deutlich, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht so akzeptiert sind, wie wir uns das wünschen. Dass so ein Thema in die Schule rein getragen wird, wurde von vielen abgelehnt. So was zeigt uns natürlich, dass unsere Arbeit noch nicht zu Ende ist. Ich finde, die Verankerung in den Lehrplänen ist eine ganz wichtige Geschichte und dazu gehören nicht nur gleichgeschlechtliche Lebensweisen, da gehört ja noch sehr viel darunter und deshalb finde ich die öffentliche Diskussion auch zielbringend. Damals als Herr Wowereit sagte: »Ich bin schwul und das ist gut so.«, hatte es ja auch eine riesengroße Diskussion gegeben. Ich glaube, das hat der Sache sehr genützt.
Nichtdestotrotz ist homophob motivierte Diskriminierung und Ausgrenzung gesellschaftlich verankert. Wie stellt sich nach euren Erfahrungen der Alltag von LGBT Menschen in M-V dar?
Die Ausgrenzung von Homosexuellen ist nach wie vor aktuell, aber sie sieht heute anders aus als noch vor 20 Jahren. Besonders schwierig ist es in ländlichen Bereichen. Schwul-lesbische Zentren und Beratungsstellen gibt es nur in den größeren Städten, der Rest ist ganz einfach nicht abgedeckt. Betroffene oder Angehörige, die Hilfe suchen, müssen also immer fahren. Wir haben natürlich auch Kenntnisse von Überfällen auf Schwule und unsere Geschäftsstellen werden ebenfalls beschmiert mit Sprüchen wie: »Schwule in die Gaskammer« Ich glaube es ist eindeutig, aus welcher Ecke sowas kommt. Und wir haben natürlich auch Ausgrenzung in Ämtern oder in Betrieben, wenn Menschen sich als gleichgeschlechtlich lebend outen und dann Repressalien erleben müssen.
Gibt es regionale Unterschiede innerhalb Mecklenburg-Vorpommerns?
Ja, Unterschiede sehen wir ganz deutlich. Mecklenburg ist mit aktiven Vereinen in Schwerin, Wismar und Rostock recht gut versorgt. Anders sieht es in Vorpommern aus. Dort gibt es kaum Angebote und wenn wir dort Infostände machen, sind wir mit so manchen Aussagen von Bürgern konfrontiert, die mehr als grenzwertig sind.
Spielt in diesem Zusammenhang auch die Politik auf lokaler, regionaler oder Landesebene eine wichtige Rolle?
Das ist ganz eindeutig so. Es gibt Kommunen, wo wir ganz gut kooperieren. Ich denke da nur mal an Schwerin. In Rostock gab es letztes Jahr Schwierigkeiten mit den Auflagen zum CSD. Auch in Stralsund gab es auch Schwierigkeiten. Dort klappt es inzwischen aber ganz gut. Auf Rügen hatten wir mit Lokalpolitikern zu tun, die unserem Thema gegenüber nicht aufgeschlossen waren.
Wie häufig schlägt Ablehnung von LGBT Menschen tatsächlich in verbale oder körperliche Gewalt um?
Es gibt sicher eine hohe Dunkelziffer von Vorfällen, die wir nicht kennen. Deshalb bereitet der Landesverband gerade eine Umfrage vor. Wir wollen mit der Fachhochschule Neubrandenburg und mit der Universität Greifswald zusammenarbeiten, um diesem Problem auf den Grund zu gehen.
Der Berliner Verein Maneo hat 2007/2008 eine Umfrage gemacht und danach von 300 Fällen körperlicher Gewalt in M-V gesprochen. Aber das betraf nur diejenigen, die damals erreicht wurden. Ich bin mir sicher, dass die wirklichen Zahlen weit darüber hinaus gehen. Ich glaube, das geht in die Tausende. Es fängt doch schon in der Schule an, wenn sich Schüler outen und dann gemobbt werden, das ist ja auch homophobe Gewalt. Und wenn ich die Fälle alle nehme…
Homophobe Gewalt kann ja sehr unterschiedlich aussehen und umfasst ja nicht nur die körperliche Gewalt, das kann auch seelische oder psychische Gewalt sein.
Ich selbst wurde im Januar von drei jungen Männern auf offener Straße als »schwule Sau« beschimpft und geschubst. Die wollten mich wirklich fertig machen. Dann kamen zum Glück
Passanten vorbei. Ich habe nach Hilfe gerufen und konnte fliehen.
Welche Folgen haben solche Angriffe, wenn sie bekannt werden?
Es gibt leider viele Betroffene, die versuchen, so was mit sich selbst auszumachen. Es gibt aber auch viele, die darüber sprechen, und das führt dann dazu, dass es Solidarität gibt. Da gibt es dann auch ganz konkrete Absprachen. Viele haben etwa in beliebten Cruisingbereichen eine Pfeife dabei. Wenn was passiert, wird gepfiffen. Dann wissen die anderen Bescheid und sind da.
Viel schwerer ist es für die, die sich nicht geoutet haben und an bekannten Treffpunkten unterwegs sind. Sie haben kaum Kontakte in die Szene und kommen auch nicht in unsere Beratung. Die Gefahr, Opfer homophober Gewalt zu werden, ist für diese Menschen nochmal deutlich höher.
Insgesamt versuchen wir aber schon, solche Angriffe in unseren Bereichen öffentlich zu machen und zu thematisieren. Wir können das ja nicht wegschieben und ignorieren, weil wir uns dann aus Angst nicht mehr frei bewegen könnten. Verschweigen bringt uns ja nicht weiter.
Bietet ihr als landesweiter Verein auch Beratung nach solchen Angriffen an?
Wir bieten uns natürlich als Erstkontakt an, machen aber dann keine weitere Beratung, sondern vermitteln an andere. Wir arbeiten ja mit euch eng zusammen oder schicken Betroffene auch oft nach Hamburg oder Berlin. Ein ganz großes Problem sind fehlende Therapieangebote. Das haben wir schon ganz oft angemahnt, doch es passiert nichts. Das ist für uns absolut unverständlich. Warum gibt es bei den bestehenden Beratungsangeboten, zum Beispiel der LOBBI keine Stelle für einen Therapeuten? Wir können doch nicht voraussetzen, dass Betroffene für eine ambulante Therapie zwei Jahre lang nach Berlin fahren. Das wird sicher auch Thema beim Landesaktionsplan sein.