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Unsicherheitsbehörden

vom 22. Dezember 2019 in Kategorie: Artikel

Spät und schlecht informiert

Schon als im Sommer 2017 die BKA-Ermittlungen öffentlich wurden, fragten sich in Mecklenburg-Vorpommern politische aktive Menschen, ob sie in den Fokus der Nordkreuz-Mitglieder geraten sind und ob sie in Gefahr schweben. Die LOBBI forderte deshalb bereits damals unter anderem, eine Hotline einzurichten, bei der sich besorgte, potentiell betroffene Menschen informieren könnten. Offenbar regte intern damals auch das BKA die Landesbehörden an, die Betroffenen zu »sensibilisieren«. Doch lange passierte nichts, während Medien immer weitere Zusammenhänge aufdeckten und bei weiteren Durchsuchungen Waffen und Munition gefunden wurden. 

Man habe »nicht unnötig verunsichern« wollen, begründete das Innenministerium später die monatelang fehlende Information an Betroffene. Dieser etwas paternalistische Blick auf mündige Bürger*innen ist umso unverständlicher, da die Verunsicherung bei vielen erklärtermaßen bereits bestand. Erst nachdem das BKA einzelne Personen von der Feindesliste zu Vernehmungen vorlud und bereits bundesweit die Betroffeneninformation gefordert wurde, sah man sich ab Ende Juli genötigt, etwa 1200 Menschen und Organisationen im Bundesland anzuschreiben.

Besonders hilfreich war dies allerdings auch nicht. Für überraschte Menschen, die von den Feindeslisten nichts mitbekommen hatten oder diese nicht auf sich bezogen, erschloss sich aus dem Brieftext nicht einmal, worum es überhaupt geht. Aber auch für Betroffene, die die Berichterstattung verfolgt hatten, blieben viele Fragen offen. Entsprechend ratlos und irritiert waren viele der Empfänger*innen. Es wäre vorhersehbar gewesen, dass ihre Vorerfahrungen mit den Erkenntnissen aus der Berichterstattung resonieren. Viele von ihnen waren bereits von rechter Gewalt betroffen oder kennen die rechte Drohkulisse aus eigenem politischen Engagement. Doch dem Duktus und Inhalt des Briefes ist anzumerken, dass er nicht geleitet von Betroffenenperspektiven verfasst wurde. 

Semantische Spitzfindigkeit

So machte das Innenministerium deutlich, dass es mit dem Brief vor allem auf die, aus ihrer Sicht, fehlerhaften Bewertungen aus dem politischen Raum und durch Medien reagierte. In dem Zusammenhang ist es ihm insbesondere wichtig, den »Begriff der „Feindes-“ oder gar „Todesliste“  (…) konsequent zurückzuweisen« und möchte ihn durch »Materialsammlungen« mit »personenbezogenen Daten« ersetzt wissen. Dabei war es die Generalbundesanwaltschaft, die bereits in ihrer ersten Presseinformation  2017 mitteilte, dass »die Beschuldigten den von ihnen befürchteten Krisenfall als Chance gesehen haben, Vertreter des politisch linken Spektrums festzusetzen und mit ihren Waffen zu töten. Zu dieser Personengruppe sollen die Beschuldigten eine Liste mit Namen und weiteren Personalien angelegt haben.« Dass Medien und Betroffene diese Sätze in »Feindes- oder Todesliste« übersetzen, ist naheliegend. Die Wortklauberei wirkt relativierend, betrachtet man den Sinn und Zweck dieser Listen. Auch wenn »Nordkreuz« nicht kurz davor stand, seine Gewaltphantasien in die Tat umzusetzen – so haben deren Mitglieder doch Energie investiert, um aus öffentlichen und nichtöffentlichen Quellen Informationen über Politiker*innen, Journalist*innen, Aktive in der Flüchtlingshilfe und engagierte Projekte zu sammeln.  Diese Informationen waren dafür gedacht, irgendwann benutzt zu werden. Das gilt auch für größere und bereits öffentliche Datensätze wie die gefundene Kund*innen -Liste eines Versandes. Die durch rechte Hacker erbeuteten Namen und Adressen wurden und werden in der Szene weitergegeben, in der Hoffnung damit aktives Handeln bei Gesinnungskamerad*innen zu provozieren. 

Gemeinsam aktiv werden

Die Zusicherung der Behörden, dass eine konkrete Bedrohung durch ein »schädigendes Ereignis« nie bestand, beruhigte etliche Betroffene daher nicht. Sie wussten, dass auch der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund, der bis zu seiner Selbstenttarnung unter dem Radar der Behörden mordete, »Datensammlungen« angelegt hatte. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der am 2. Juni vor seinem Wohnhaus erschossen wurde, war ihnen allen ebenfalls präsent. Auch er stand auf einer rechten »Feindesliste«.  

Auch deshalb wandten sich seit Ende Juni zahlreiche Betroffene an die LOBBI. Einige suchten individuelle Beratung, viele andere wollten sich austauschen und  gemeinsam aktiv werden.

In mehreren Treffen entschieden sie, sich an die Öffentlichkeit und politische Entscheidungsträger*innen auf Bundes- und Landesebene zu wenden. In Offenen Briefen formulierten sie Fragen, auf die sie Antworten erwarteten. Etwa warum sie so wenig öffentliche Unterstützung aus der Landesregierung erfuhren oder warum es fast zwei Jahre dauerte, bis sie informiert wurden. Vor allem aber stellten sie Forderungen auf. Nach Schaffung einer wirksamen und nachhaltigen Fehlerkultur in den betroffenen Behörden, nach konsequenten Ermittlungen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung oder nach einer konsequenten parlamentarischen Aufarbeitung rechter Vernetzungen innerhalb staatlicher Behörden.

Verheerender Vertrauensverlust droht

Tatsächlich wurden in Mecklenburg-Vorpommern mittlerweile erste Schritte angekündigt, wie ein Verfassungsschutzcheck von neu eingestellten Polizist*innen, stärkere Kontrollen bei der Munitionsausgabe und die Überprüfung von Ausbildungsinhalten. 

Ein Landtagsbeschluss vom September, dem die Abgeordneten aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD zustimmten, forderte die Landesregierung auf, Betroffene zukünftig schneller und umfassender zu informieren und konsequenter gegen gewaltbereite Rechte vorzugehen.

Der Innenminister kündigte eine unabhängige Untersuchung durch externe Berater*innen an. Man muss allerdings nicht besonders polizeikritisch sein, um, diesen Ankündigungen und Versprechen zum Trotz, skeptisch zu bleiben. Die Rede von »Verfehlungen einzelner Landesbediensteter« lassen wenig Hoffnung zu, dass eine ernsthafte Fehlerkultur entwickelt wird.

Doch genau solche Schritte sind gerade jetzt notwendig. Denn der Vertrauensverlust geht weit über die direkt vom Datenmissbrauch Betroffenen hinaus. Wenn engagierte Bürger*innen sich fragen müssen, ob ihre Daten in den Sicherheitsbehörden sicher sind vor dem Zugriff durch rechtsterroristische Gruppierungen, gerät die politische Kultur dieses Landes generell in Gefahr. Wenn Betroffene rechter Anfeindungen sich ernsthaft überlegen müssen, ob sie sich weiterhin an die Polizei richten sollen, die ihren Schutz zu gewährleisten hat, steht unsere offene Gesellschaft einmal mehr zur Diskussion.