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Ãœbergriffig und beleidigend

vom 14. August 2015 in Kategorie: Artikel

Wie oft fahren Sie mit dem Zug und wie oft werden Sie hierbei von Bundespolizist_innen im Zug oder auf dem Bahnhof angehalten und kontrolliert?

Da ich meinen Hauptwohnsitz in Berlin habe, fahre ich circa viermal pro Monat zwischen Stralsund und Berlin hin und her. Zwischen Juli 2013 und Februar 2014 ist es zu bisher vier Vorfällen gekommen, bei denen mein Ausweis zur Kontrolle verlangt und mein Fahrtziel erfragt wurde, sowie mein Name an Dienststellen durchgegeben wurde, wahrscheinlich um mit Fahndungslisten oder Ähnlichem abgeglichen zu werden. Was mit diesen Daten geschieht, wurde mir nicht mitgeteilt.

Wie begründen die Polizist_innen Ihnen gegenüber jeweils die Kontrollen? Wonach werden Sie von den Beamt_innen gefragt?

Die Beamten gaben mir auf meine Nachfrage keinerlei Begründung der Auswahl meiner Person ab, sondern beriefen sich auf die Verdachtsunabhängigkeit, mit der dies geschehe. Ich wurde nach meinem Ausweis gefragt, nach meinem Reiseziel, sowie in einem Fall, direkt nach meinem Aufenthaltsstatus in Deutschland. Ebenso wurde mein Name telefonisch und für alle Mitreisende hörbar an Dienstellen durchgegeben. In einem Fall erklärte der Beamte, es handle sich um Maßnahmen zur Bekämpfung »illegaler Migration«. Offensichtlich kam ich durch mein Äußeres seiner Ansicht nach dafür in Frage.
 
Was haben Sie persönlich für einen Eindruck, nach welchen Kriterien die Polizist_innen Sie als zu kontrollierende Person ausgewählt haben?

Die Kriterien, nach denen ich oder irgend jemand bei diesem Vorgehen ausgewählt wurde, können nur optische sein, also mein Aussehen, meine Kleidung, mein mitgeführtes Eigentum, mein Geschlecht. Der Beamte betritt den Wagen beziehungsweise das Abteil und muss anhand dieser unseriösen Gesichtspunkte einen impliziten Vorverdacht formulieren. Es ist also dem jeweiligen Gutdünken eines Beamten, der ein Mensch ist wie jeder andere und genauso Vorurteile pflegt wie Sie und ich, gestattet, diese Vorurteile in Amtshandlungen wie Personenkontrollen, also Eingriffe seitens einer Bundesbehörde, umzuwandeln.

Bleiben die Beamt_innen bei den Kontrollen freundlich oder ist es auch schon zu   Beschimpfungen Ihnen gegenüber gekommen?

Einige Beamte bemühten sich um Freundlichkeit, andere hingegen waren unfreundlich und blieben es auch, nachdem sie feststellten, dass sie einen unbescholtenen Bundesbürger vor sich hatten, zu dessen Schutz sie eigentlich verpflichtet sein sollten.

Wie reagieren andere Reisende auf die Kontrollen? Wie fühlen Sie sich persönlich bei den Kontrollen?

Als Sänger habe ich eine sehr tragfähige Stimme. In dreien der vier Fälle schauten die anderen Reisenden trotzdem weg und reagierten nicht auf meine Diskussionen mit den Beamten. Nur in einem Fall sprachen sich Mitreisende sich für mich aus und verurteilten das Vorgehen der Beamten, was diese zur Kenntnis nahmen, sie aber nicht beeindruckte.
Ich selbst fühle mich wütend und gedemütigt bei den Kontrollen. Es braucht Mut, den uniformierten und bewaffneten Bundespolizisten zu sagen, dass man ihr Vorgehen nicht gutheißt. Als Reisender habe ich keine andere Wahl, als den Forderungen zu gehorchen, wenn ich keine Durchsuchung oder vorläufige Festnahme riskieren möchte. Dies ist eine Ausnahmesituation, in die man nicht ohne triftigen Grund kommen sollte, wie z.B. aufgrund eines stichhaltigen Verdachts auf ein Verbrechen. Insofern fühle ich mich nicht anders als jeder andere Mensch, sei er nun Deutscher oder nicht, der in die Lage kommt, sich aus heiterem Himmel vor einem Repräsentanten der Staatsgewalt für Äußerlichkeiten rechtfertigen zu müssen.

Haben Sie nach den Kontrollen rechtliche Schritte eingeleitet?
    
Ich habe mich natürlich bei der Dienststelle der Bundespolizei beschwert. Ich erhielt ein höflich formuliertes Antwortschreiben, in dem abgestritten wurde, dass es sich bei den Kontrollen um das sogenannte racial profiling handle.

Was wünschen Sie sich diesbezüglich für die Zukunft?

Die Abschaffung der Schleierfahndung in ihrer jetzigen Form. Entweder werden alle kontrolliert oder niemand. Ich möchte nicht mehr als einziger im Wagen kontrolliert werden und mich fragen, wann es in Deutschland endlich so weit sein wird, dass man auch mit dunklerem Aussehen selbstverständlich als Deutscher akzeptiert wird.
Darüber hinausgehend, haben die Reaktionen auf die Einrichtung einer »Gefahrenzone« in Hamburg vor einigen Monaten gezeigt, dass die meisten Bürger dieses Landes verdachtsunabhängige Polizeikontrollen als übergriffig und beleidigend empfinden. Es geht also nicht nur um die Würde der farbigen Deutschen, sondern um die generelle Einsicht, dass man das Sicherheitsgefühl einer Gruppe nicht einschränken darf, um das Sicherheitsgefühl einer anderen Gruppe zu erhöhen.