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«Das ganze Deutschland soll es sein»

vom 1. September 2008 in Kategorie: Artikel

Das deutsch-polnische Nachbarschaftsfest am 5.Oktober in Löcknitz ist gut besucht – zumindest von Polinnen und Polen. Fussballturnier, Sumo-Ringen, Tanzgruppen, Bands, ein Workshop mit dem bekannten DJ Tomekk, Hüpfburg, Ponyreiten – das umfangreiche Kulturprogramm lockt nur wenige deutsche Einheimische auf den Sportplatz der grenznahen Kleinstadt. Dabei gibt es viele deutsch-polnische Nachbarschaftsverhältnisse in Löcknitz und der ganzen Region. Von den etwa 3000 Polen und Polinnen in Mecklenburg-Vorpommern, leben fast ein Drittel im Landkreis Uecker-Randow. Bevölkerungszuwachs, Wohnungsleerstand unter einem Prozent, Ansiedlung von zwei Dutzend polnischen Firmen, Investitionen, Immobilienkäufe, Arbeitsplätze, Kaufkraft – der Löcknitzer Bürgermeister Lothar Meistring wird nicht müde, die positiven Folgen dieser Entwicklungen herauszustellen. Neonazis interessiert das indes wenig: „Polenfreund pass auf!“ drohte eine Parole am Rathaus der Kleinstadt.

Ziel: Vertreibung

Die rechte Szene taucht beim Nachbarschaftsfest nur am Rande auf. Ein SecurityMitarbeiter versteckt nach einem Hinweis der Polizei seine Gürteltasche mit dem Thor Steinar Logo. Ein kleiner Trupp jungen Männer, ebenfalls mit dieser in Neonazi-Kreisen beliebten Modemarke bekleidet, schlendert lästernd über das Gelände. Ein Skinhead in Tarnkleidung mit „White Power“ Aufnäher schaut biertrinkend beim Fußball zu. Diese Zurückhaltung zeigen die Rechten nicht immer. Im August 2007 werden Wohnungsgesellschaft und andere Gebäude mit antipolnischen Parolen beschmiert. Am zweiten Januarwochenende diesen Jahres werden an neun polnischen Autos Kennzeichen abgerissen oder Scheiben eingeschlagen. Einen Monat später werden u.a. an das deutsch-polnische Gymnasium Parolen gesprüht, erneut ein Auto und ein Firmenschild beschädigt. Von weiteren antipolnisch motivierten Sachbeschädigungen ist in Löcknitz die Rede. Im ostvorpommerschen Kamminke fühlt sich im Juni ein Ehepaar aus Świnoujście ernsthaft bedroht, als ihrem Fahrzeug von einem deutschen Auto der Weg verstellt wird und die Insassen sie als Polenschweine beschimpfen und an der Tür rütteln. Die Methode: gezielte Einschüchterung von Polen und Polinnen oder Einrichtungen und Personen, die mit ihnen zusammenarbeiten. Das Ziel: Vertreibung. Auf dem Löcknitzer Burgfest macht es ein Rechter überdeutlich: “Löcknitz bleibt Deutsch” und “Kein Fußbreit deutschen Boden mehr!” prangt auf seinem T-Shirt. Den ideologischen Backround für die Täter könnte die NPD in Mecklenburg-Vorpommern geliefert haben. Antipolnische Agitation zieht sich seit Jahren als zentrales Moment durch ihre Politik. Vor allem und durchgängig wird die Oder-Neiße-Linie als unverletzliche Westgrenze Polens von Funktionären der Partei in Frage gestellt. Der Anklamer Kreistagsabgeordnete Michael Andrejewski sprach schon im Dezember 2005 vom „deutschen Land Pommern“ und von „im Augenblick polnisch besiedelten Gebieten“. NPD-chef Udo Pastörs brüllt bei einer rechten Kundgebung im Sommer 2007 unmißverständlich: „Die deutschen Ostgebiete sind nach wie vor völkerrechtlich einwandfrei und lupenrein deutsche Gebiete und stehen unter polnischer Besatzung.“ und weiter : „uns derweil noch die Möglichkeit fehlt, von unserem Eigentum auch Besitz zu ergreifen, was nicht gleich bedeutend ist, dass wir darauf verzichten.“ Zuletzt stellte sein Parteifunktionär David Petereit seine Zukunftsvorstellungen auf einem von ihm verantworteten Plakat zum 03. Oktober 2008 klar. Unter einer Karte, die neben der BRD auch die ehemaligen Gebiete Hinterpommern, Schlesien und Ostpreussen darstellt, ist der Schriftzug „Das ganze Deutschland soll es sein!“ zu lesen.

NPD siegesgewiss

So vehement die rechte Szene einerseits die polnische Westlinie in Frage stellt, so fordert sie andererseits die Schließung eben dieser Grenze. In ihrer Begründung greifen die Neonazis dabei auf positive Erfahrungen mit einer rassistischen Kampagne aus den Jahren 2002 und 2003 zurück. Unter dem Motto „Schöner und sicherer Wohnen“ versuchten NPD und Kameradschaften die Einrichtung von Unterkünften für Flüchtlinge zu verhindern. Ihre Argumentation damals: „Asylanten“ wären für steigende Kriminalität verantwortlich, die Deutschen wären bald eine „Minderheit im eigenen Land“ und die Flüchtlinge würden finanziell bevorzugt. Demonstrationen, Flugblätter, Unterschriftensammlungen, Sprühparolen – die Aktionen der Rechten erhielten Zuspruch aus der Bevölkerung. Mit ähnlichen „Gespenstergeschichten“ (Peter Ritter, Landtagsfraktion der Linkspartei) agitieren sie jetzt wieder. So wird ein sofortiger Stop des Zuzugs von Polen und Polinnen verlangt, um einer vermeintlichen „Polonisierung“ und „Entdeutschung“ entgegenzuwirken. Polnischer Sprachunterricht würde die deutschen Kinder ihrer „arteigenen Kultur“ und ihrem „eigenen Volk (…) entfremden“. Die Veröffentlichung von ausgewählten Straftaten und Polizeimeldungen aus der Region hat offenbar eine gesteigerte Kriminalitätsfurcht im Zusammenhang mit der Grenzöffnung zum Ziel. Immer wieder legt die NPD-Propaganda auch nahe, die polnischen Einwohner und Einwohnerinnen würden besser behandelt als die deutschen. „Grenzen dicht!“ fordert ein Flugblatt, dass die NPD an Infotischen und in Briefkästen schon jetzt verteilt. Für die Neonazis hat der Wahlkampf um Kommunalmandate im nächsten Jahr längst begonnen. Die Partei will 2009 „keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um die ihnen von der Geschichte aufgetragene Rolle wahrzunehmen: letzter verbliebener Anwalt der Deutschen zu sein“. Tino Müller, der Schweriner Fraktionsvize stammt aus dem Uecker-Randow-Kreis und gibt sich siegesgewiss. In den Städten und Gemeinden in dieser Region kann er sich schon jetzt etlicher WählerInnen sicher sein. Bei den Landtagswahlen 2006 holte seine Partei beispielsweise in Löcknitz 20,7 % der Zweitstimmen. Bestärkt haben ihn sicher auch die Wahlergebnisse vom September aus dem benachbarten Brandenburg. Dort gewann die NPD im Landkreis Uckermark zwei Kreistagsmandate. Kandidatin Irmgard Hack machte auch dort den Zuzug aus Polen zum Thema und offenbarte in einem Interview, dass es ihr nicht um Arbeitsplätze, sondern allein um antipolnische Propaganda geht. Selbst ein Gaststättenbesitzer, der sieben deutsche MitarbeiterInnen einstellte, sollte ihrer Meinung nach das Land wieder verlassen.

Furchtbare Erfahrungen

An den Biertischen beim Nachbarschaftsfest werden das schlechte Wetter und verspätete Werbung als Gründe für den geringen Andrang deutscher Besucher und Besucherinnen diskutiert. Antipolnische Einstellungen in der deutschen Bevölkerung kommen nicht zur Sprache. Tatsächlich gibt es viele Beispiele gelungener Zusammenarbeit und alltägliche Begegnungen, die von gegenseitiger Akzeptanz geprägt sind. Dennoch ist das Klima vergiftet. Die neuen Löcknitzer und Löcknitzerinnen aus Polen nehmen die Vorfälle als gegen sie gerichtet wahr, auch wenn bisher nur einzelne persönlich betroffen waren. Polnische Medien beobachten aufmerksam die Entwicklungen in der Grenzregion und die Reaktionen darauf. Eine Swinemünder Abgeordnete äußerte schon nach der Landtagswahl 2006 seine Sorge über die Stimmenzuwächse der NPD, da gerade „diese Partei nach Wurzeln greift, mit denen die Polen furchtbare Erfahrungen gemacht haben.“