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Geistige und andere Brandstiftungen

vom 1. September 2010 in Kategorie: Artikel

Politischer Hintergrund nicht erkennbar

Hakenkreuze und rechte Parolen „zieren“ die Wände eines Garagenkomplexes am Rande eines Stralsunder Neubauviertels. Einige sind übermalt oder durch Anti-NaziSprüche ergänzt worden. Diesen Widerspruch gegen ihre Propaganda konnten die rechten Schmierer wohl nicht ertragen. Zur Verantwortung gezogen wurde ein junger Garagenbesitzer, der ganz offensichtlich keine Sympathien für die rechte Szene pflegt und dies auch deutlich zeigt. In der Nacht zum Pfingstsonntag brachen bislang Unbekannte einen Teil seiner Garagentür auf und setzten den Innenraum in Brand. Die Feuerwehr konnte schnell löschen – das Inventar ist jedoch vernichtet, die Wände verrußt und die Stromversorgung im ganzen Komplex ausgefallen. Der Betroffene geht von einem rechten Motiv aus. Den Raum hat er erst seit einigen Monaten angemietet. Dennoch wurde schon mehrmals ausgerechnet seine Garage aufgebrochen einmal wurden dabei stapelweise NPD-Aufkleber hinterlassen. In der gleichen Nacht wurde zum wiederholten Male der Briefkasten eines Mitglieds der Linkspartei vermutlich mit Sylvesterböllern beschädigt. Genau eine Woche später trifft es dann auch den Briefkasten des Bürgerbüros der Linkspartei. Auch hier sind die Verursacher unbekannt. Vorerst sei ein politischer Hintergrund nicht erkennbar, teilt die Polizei mit. Stralsunder Jugendliche hingegen machen die rechte Szene dafür verantwortlich.

Vom „Freundeskreis“ zur „Hass-Gruppe“

Zur Beschädigung am Büro der Partei Die Linke merkte die Stralsunder Neonazi-Kameradschaft Hatecrew auf ihrer Internetseite an: „Der Briefkasten war von bislang unbekannten Personen gesprengt worden. Vermutlich mit polnischen Böllern. Upps, haben wir da jetzt etwas ausgeplaudert, das wir eigentlich gar nicht wissen dürften?“ Diese Berichterstattung, die auch als Bekennerschreiben interpretiert werden könnte, hat bei der Hatecrew scheinbar Methode. Das Abbrennen eines Ehrenkranzes am Thälmann-Denkmal im April 2010, sowie der Diebstahl und das anschließende Versenken einer Gedenktafel für die Stralsunder Synagoge im Oktober 2009 wurde in ähnlicher Weise kommentiert und mit Bildern der Aktionen unterlegt. Bei der Kameradschaft handelt es sich um die Nachfolgeorganisation des Freundeskreis Avanti, der wegen einer antisemitischen CD zur Anne-Frank-Ausstellung in Grimmen im Jahr 2007 in die Schlagzeilen und einzelne Mitglieder vor Gericht gerieten. Bei der Namensänderung ging es offenbar um einen martialischeren Titel. Dabei wurde gar auf den in der Szene üblichen Deutsch-Zwang verzichtet und statt Hassgruppe Hatecrew gewählt. Gegen wen sich ihr Hass so richten kann, wird an den rassistisch, antisemitisch oder behindertenfeindlich konnotierten Textbeiträgen und dem Mobbing von einzelnen, vermeintlich linken Jugendlichen auf der Internetseite der Kameradschaft deutlich. Die Hatecrew ist allerdings nicht nur virtuell in Stralsund präsent. Die etwa 15 „HC-Mitglieder“ zeigen sich immer wieder in Gruppen – ausgestattet mit eigenen T-Shirts – im Straßenbild oder auf Stadtfesten. Mit Aufklebern, Pöbeleien und Rempeleien markiert die Gang ihre Revieransprüche.

„In schwarzer Uniform“

Die Veröffentlichungen der Hatecrew drehen sich zu einem großen Teil um die Hatecrew selbst. Nicht nur die „lobende“ Erwähnung im Verfassungsschutzbericht wird gefeiert. Den narzisstischen Nazis ist selbst ein Strafverfahren gegen ein Kameradschaftsmitglied wegen der Missachtung einer roten Ampel mehrere Meldungen wert. Weitere anhängige Strafverfahren werden ausführlich in Sonderrubriken behandelt und mit Bildern und Namen der Beteiligten illustriert. Die offene Eigenpräsentation paart sich mit kaum versteckten Bekenntnissen zu Straftaten. Das hat allerdings auch Folgen. Mehrere Verurteilungen werden den Druck insbesondere auf den Hautprotagonisten der Hatecrew, den langjährigen Neonazi-Aktivisten Robert Rupprecht, erhöhen. Zuletzt wurde im Juni gegen ihn eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten wegen Volksverhetzung verhängt. Auf einem T-Shirt, das er auf einem Bild in der Online-Community NB-Town trägt, war unter dem Schriftzug „Eisenbahn Romantik“ die Gleiseinfahrt eines Konzentrationslagers zu sehen. „Der sich daraus ergebende Sinn des T-Shirt-Aufdrucks verharmlost die Deportation unzähliger Personen durch die Nationalsozialisten in Konzentrationslager“, befand das Stralsunder Gericht in seinem Hausdurchsuchungsbeschluss. In der Kommentierung des Urteils legt die Hatecrew so offen wie unverhohlen nach: „Den Vogel abgeschossen hat [der Staatsanwalt] aber zweifellos mit der rhetorischen Frage, ob der Angeklagte ein solches Shirt auch dann tragen würde, wenn er damals selbst in einem Konzentrationslager gewesen wäre. Die passende Antwort wäre wohl zweifellos, dass er damals sehr wohl auch in einem Konzentrationslager gewesen wäre, allerdings in schwarzer Uniform.“ Auch ein alter Bekannter Rupprechts, der nicht weniger selbstgefällige Axel Möller, gerät in Bedrängnis. Der ebenfalls in Stralsund wohnende Verantwortliche für die Hetzseite altermeDia wurde am 03. März wegen Volksverhetzung in zehn Fällen, Beleidigung sowie Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Gewaltdarstellung zu 3000 Euro Geldstrafe verurteilt. Die Wiederholungsgefahr dürfte auch hier bei 100 Prozent liegen. Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Konstante Aktivität

Die Unterstützung der beiden Verurteilten durch die lokale und landesweite rechte Szene dürfte sich indes in Grenzen halten – weniger aufgrund ideologischer Differenzen, als vielmehr wegen persönlicher Befindlichkeiten. Die Internetseite altermeDia ist durch ihren parteikritischen Stil zumindest bei der Landes-NPD geradezu verfemt. Die Hatecrew hat zwar Kontakte zu Neonazis in Grimmen und Greifswald und wird auch auf der Internetseite des Rostocker NPDlers David Petereit MUPinfo wohlwollend erwähnt. Doch mit der Stralsunder NPD liegt die Gang im Clinch. Deren örtlichen Vorsitzenden bezeichnete die hatecrew als inkompetent und stritt sich zu Avanti-Zeiten um Geld für ihre Wahlkampfunterstützung mit ihm. Als dann Hatecrew-Aufkleber in der Stadt mit denen der NPD überklebt wurden, war von „Provokateuren und Idioten“ die Rede. Die Hoffnung, dass sich die Stralsunder Neonazi-Szene selbst zerlegt oder durch Geldund Haftstrafen zur Aufgabe gezwungen wird, ist indes unangebracht. Die Stralsunder NPD mag mit den eingeschränkten Qualitäten ihres Vorsitzenden zu kämpfen haben. Mit regelmäßigen Kinderfesten, Info-Ständen, Demonstrationen und anderen Aktionen zeigt sie aber seit Jahren konstante Aktivitäten. Diese sollen offenbar noch verstärkt werden. Im Juli eröffnete die Partei ein Büro in Stralsund, das als „nationale Begegnungsstätte“ dienen soll. Hinzu kommt eine kleine Gruppe „Autonomer Nationalisten“ in der Hansestadt. Ein Rechtsrock-Konzert 2009 und die Existenz von Szene-Treffpunkten zeugen zudem von einer aktiven rechten Subkultur. Zuletzt versuchten im August etwa 60 zum Teil vermummte und aggressive Neonazis, zu Ehren von Hitlerstellvertreter Rudolf Heß unangemeldet in der Stadt aufzumarschieren. Die Gefahr von geistigen und tatsächlichen Brandstiftungen, von Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, Drohungen und nationalsozialistischer Propaganda bleibt in Stralsund also weiter bestehen.