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Genosse Kamerad!

vom 14. Februar 2018 in Kategorie: Artikel

Auf der einen Seite mochte es zähneknirschend erscheinen, als sich Udo Pastörs im Oktober 2017 als Reaktion auf die Spaltung der AfD-Landtagsfraktion wegen der neonazistischen Gesinnung einiger ihrer Mitglieder noch einmal zurückmeldete: »Es war zwar überflüssig, neben der NPD eine andere Partei zu gründen, wenn man die gleiche Einstellung hat. Aber da Ihr schon einmal da seid, orientiert Euch bei Eurer parlamentarischen Arbeit an der NPD«. Doch der Eindruck täuscht. Nachdem die NPD zwar nicht verboten, doch durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich eingestuft und ihr politische Bedeutungslosigkeit attestiert wurde, kommt ihr der Aufstieg der AfD zumindest ideologisch gelegen. 

NPD-Positionen werden nun in einem Milieu ventiliert, zu dem die Partei zuvor keine Zugänge besaß. Zudem erweckte vor allem die Arbeit der NPD in den Kommunal- und Kreistagsparlamenten den Anschein, zum personellen Kraftakt zu werden. So ließen sich aus dem alten Kameradschaftsklientel, aus dem sich die NPD 2006 überhaupt erst rekrutieren musste, keine geeigneten ÜberzeugungstäterInnen mehr finden, sowie auf potentielle niedergelegte Mandate keine NachrückerInnen. Der parlamentarischen Arbeit wurde noch während des laufenden Geschäftes der Rücken gekehrt. Selbst im Osten des Landes, wo die Partei-AktivistInnen am professionellsten auftraten, wird nur noch selten die Tagespolitik öffentlichkeitswirksam kommentiert.

Neue Rechts-Formen

Untätig bleiben die dienstältesten Kader jedoch nicht. Bestes Beispiel dafür ist ein langjähriger Multifunktionär der Szene, David Petereit – eines der sechs ehemaligen Landtagsmitglieder der NPD, die durch ihr nicht unerhebliches Übergangsgeld freie Zeit und Ressourcen aufwenden können, um die Neonazi-Szene im Bundesland weiter beim Strukturausbau zu unterstützen. Als erstes Gründungsmitglied trat Petereit der im November 2016 eingetragenen Mecklenburg-Vorpommersche Strukturentwicklungs-Genossenschaft eG bei. Ziel und Zweck ist laut Satzung der Genossenschaft die »Schaffung, Verwaltung und Bewirtschaftung von Wohn- und Gewerberaum, Unterstützung bei Unternehmensgründungen und Erhalt von bestehenden Unternehmen, allgemeine Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Strukturentwicklung im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.«

Während schon die historischen Vorbilder der Neonazis im Zuge der Gleichschaltung führende Genossenschaftler*innen für sich vereinnahmten und deren Idee zu einer »urdeutschen« erklärten, muss es nicht wundern, wenn unter dem Motto »Alle für eine Idee« Mitglieder der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) und NPD-AktivistInnen die für sie neue Rechtsform für ihre Zwecke nutzen. So fügt sich die Gründung der Genossenschaft beispielsweise in das über zwanzig Jahre alte Konzept der National befreiten Zonen ein, das neben der Anhäufung von Immobilien, um sich frei vom »Staat und seinen Bütteln« bewegen zu können, auch für ortsübergreifende Kooperationen wirbt, um wirtschaftliche Standbeine aufzubauen. Ziel war es schon damals, möglichen Berufsverboten als Folge staatlicher Kriminalisierung und medialer Skandalisierung vorzubeugen. 

In diesem Kontext lesen sich die breit angelegten Ziele der Neonazi-Genossenschaft nicht nur als eine vielfältige Möglichkeitspalette, sondern vielmehr als ein politisches Projekt. Vergleichbar mit dem Ziel der HDJ, die ganze Familien bewusst durch völkisch-nationalistische Ideologie an die rechtsextreme Szene gebunden hat, so dass ältere Mitglieder nicht nach der Familiengründung aus der Szene ausscheiden müssen, wird dieses Lebensbundkonzept nun auf die Arbeitswelt angewandt. Die Arbeitswelt soll nicht dem Einzelnen allein überlassen bleiben, sondern könnte zukünftig szeneintern gemeinschaftlich organisiert werden. Die neue Organisationsform bietet Möglichkeiten, den bereits vorhandenen Immobilienpark auszubauen und so das Siedlungskonzept weiter voranzutreiben. Hinzu kommt ein Netzwerk selbstständiger Handwerker und Dienstleister, die zusammen in der Lage wären, ganze Dörfer aufzubauen.

Dienstleister und Kampfsportler

Bislang finden sich bis auf das ehemalige NPD-Kreistagsmitglied Hannes Welchar, den ehemaligen HDJ-Aktivisten Frank Klawitter aus Greifswald und den Ueckermünder NPD-Stadtvertreter Marko Müller keine weiteren »Kameraden« aus Ostvorpommern und der Seenplatte unter den offiziellen Genossenschaftsmitgliedern. Vorwiegend kommen die 23 Gründungsmitglieder aus dem Westen des Bundeslandes. Doch die Ausdehnung des Geschäftsbetriebes ist laut Satzung ausdrücklich auch auf Nichtmitglieder zugelassen. Und ein bereits bestehendes braunes Handwerker-Netzwerk im Anklamer Raum könnte ein idealer Geschäftspartner sein. 

Vereint unter der Internetpräsenz mit dem Titel Handwerker Anklam verbirgt sich kein einfaches regionales Handwerkerportal sondern ein landesweites Neonazi-Firmennetzwerk. So wirbt neben einer Vielzahl einschlägig bekannter Neonazis aus Vorpommern-Greifswald, wie dem Mitinhaber des rechten Pommerschen Buchdienst Alexander Wendt und dem Anklamer NPD-Stadtvertreter Enriko Pflugradt, auch der bundesweit bekannte Neonazi Sven Krüger aus Jamel für seine Dienste. Die technische Betreuung der Internetseiten wird ebenso von alten Kadern aus der Region übernommen, die darüberhinaus ihre langjährigen Weggefährten, wie etwa den Kameradschaftsaktivisten Marko Müller und dessen Firma Haffbaum mittels Imagefilm unterstützen. Das Geflecht aus braunen Handwerkern, Dienstleistern, Medien- und Webdesignern zieht sich durch den gesamten äußeren Osten des Bundeslandes. Und so wird die seit langem sicht- und spürbare Strategie, eine rechte »Gegenmacht« in der Alltagskultur zu etablieren um den Versuch ergänzt, autark zu wirtschaften und sich gegenseitig abzusichern. 

Neben der Arbeit wird sich ebenfalls um das Freizeitangebot bemüht. Szeneinterne Angebote aus den alten Kameradschaftsstrukturen sorgen für Abwechslung. Neben Rechtsrockkonzerten folgten am 13.05.2017 rund 40 TeilnehmerInnen einer Einladung des Pommern Sturm Usedom. Anlass, ein als »Selbstverteidigungskurs« deklarierten Kampfsport-Seminar in einer städtischen Grundschulturnhalle in Heringsdorf mit dem international bekannten russischen Neonazi und Kampfsportler Denis Nikitin. Unter dem Motto »Leben ist Kampf« sahen sich die TeilnehmerInnen dazu aufgefordert, dass ihre Körper »zu einer Waffe umfunktioniert werden, mit der wir dieses System aushebeln werden«, wie Rostocker Neonazis später auf Facebook berichten. Die Wesensverwandtschaft des Mottos zum historischen Nationalsozialismus ist offensichtlich. 

Es folgt der Appell, »Stärke [zu] beweisen und auf[zu]weisen, dass wir junge und fanatische Kämpfer für ein großes Deutschland sind und wir uns unserer weißen Heimat nicht berauben lassen«. Auf Fotos unter dem Titel »White Rex Seminar – Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass Leute nichts tun« finden sich ebenjene Mitglieder des sogenannten Aktionsblock Rostock Seit an Seit mit Kadern der Kameradschaftsbünde Insel Usedom, Anklam und Ueckermünde.

Die rechte Szene in Ostvorpommern scheint besonders Gefallen an dem Neonazi und Geschäftsmann Nikitin gefunden zu haben. Nur ein paar Monate später wurde der international umtriebige Kampfsportler wieder nach Ostvorpommern eingeladen. Als Referent sprach er am 19. November vergangenen Jahres zur Geschichte und Gegenwart Russlands im rechten Szenetreffpunkt Haus Jugendstil (ehemals Nationales Bewegungszentrum) in Anklam. Vereint in rechtem Business, Rassenideologie und Kampfsport, passt er wie die Faust aufs Auge zu den martialischen Männerbünden der mecklenburg-vorpommerschen Kameradschaftsszene.

Was tun?

Während derartige Veranstaltungen von den Behörden geduldet werden, hat das Innenministerium die zu recht als gefährlich eingestuften Reichsbürger im Visier. Diese Fokussierung sollte aber nicht zur Konsequenz haben, zwei Jahrzehnte rechter Graswurzelarbeit und deren Folgen aus dem Blick zu verlieren. Über die alten und noch immer agilen Strukturen muss wieder ein Debatte entfacht werden. Weder Behörden noch Politik, Zivilgesellschaft oder Medien skandalisieren die reibungslos funktionierenden Strukturen. Ohne eine öffentliche Diskussion ist zu befürchten, dass sich Immobilienkäufe wiederholen, einer braunen wirtschaftlich orientierten Strukturentwicklung weiter Vorschub geleistet wird und die gesellschaftliche Akzeptanz demgegenüber weiter zunimmt.