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Keine Kümmerer, sondern Nieten

vom 15. Mai 2014 in Kategorie: Artikel

Strukturaufbau mit Steuergeldern
Die Ergebnisse der vergangenen Wahlen fielen regional sehr unterschiedlich aus. Neben den traditionellen Hochburgen im Südosten und -westen des Landes war generell ein besseres Abschneiden der NPD in den südlichen Landkreisen festzustellen. Ob dies ein mögliches Ergebnis der Kreisgebietsreform war, die dort besonders große Kreise produziert hatte, bleibt fraglich. Denn gute Ergebnisse erzielten die Rechten hier auch schon vorher.
So konnten die Nazis in den drei neuen Landkreisen Ludwigslust-Parchim, Mecklenburgische Seenplatte und Vorpommern-Greifswald Fraktionen bilden. In der alten Gliederung klaffte hingegen eine große Lücke zwischen Ludwigslust und Vorpommern. Durch die Fusion der einzelnen Altkreise war es ihnen nun gelungen, ihre Präsenz auch im ehemaligen Parchim, Waren, Demmin und Neubrandenburg auszubauen.
Die mit dem Fraktionsstatus verbundenen Steuergelder eröffneten der Partei neue Finanzierungsmöglichkeiten für Büros, Mitarbeiter und Propagandamaterial. Eine Quelle, aus der die NPD insbesondere zu Wahlkampfzeiten – aber auch zum Zwecke der rassistischen Stimmungsmache gegen geplante Unterkünfte für Asylsuchende – aus dem Vollen schöpfte.

Feindbild: Asylsuchende
Die neuen kommunalen Strukturen kamen der NPD vor allem dann zu Gute, wennesgalt,organisatorischeEngpässe auszugleichen, die vorher nur durch das geschulte Personal der Landtagsebene bewältigt werden konnten. Dies wurde bei der Organisation von Aufmärschen und Kundgebungen genauso sichtbar wie bei der Durchführung eigener Kampagnen. Thematisch ging es dabei vor allem um Hetzte gegen Asylsuchende. Mit einer Welle von
Kleinund Kleinstkundgebungen, Flugblättern mit Falschinformationen und martialischen Aufmärschen bediente die NPD eines ihrer Kernthemen. So gelang es ihr, vor allem in der landesweiten Neonaziszene die gewohnte positive Resonanz herzustellen, aber auch eine Verunsicherung der lokalen Bevölkerung zu erzeugen oder zu verstärken.
Wohlweislich im Spannungsfeld zwischen einer versteckten Referenz an die Neonaziszene einerseits und kommunaler Politik andererseits lag die Organisation zweier Aufmärsche am 9. November 2012 in Wolgast und 2013 in Friedland verortet. Sie bildeten die Höhepunkte der Kampagne. Die unausgesprochene Botschaft im Subtext war eindeutig – der inhaltliche Zusammenhang zwischen den antisemitischen Pogromen am 9. November 1938 und einer versuchten Stimmungsmache gegen AsylbewerberInnenunterkünfte war für alle verständlich, gerichtlich jedoch schwer zu belegen.

Wenig Zauberhaftes
Die politische Arbeit in den Parlamenten, Ausschüssen und Gremien fiel hingegen eher gering aus. Abgesehen von einer Reihe von Wanderanträgen, die von den NPDlern in ähnlicher Form in fast allen Kreistagen gestellt wurden, produzierten sie nur selten spezifische Arbeitsergebnisse, die einen konkreten Bezug zu den kommunalen Themen vor Ort erkennen ließen.
Auch hier wurde immer wieder ein Gefälle zwischen den nördlichen Landkreisen, in denen es keine NPD-Fraktion gab, und den südlichen Parlamenten, in denen eigene Fraktionsmitarbeiter bezahlt werden konnten, sichtbar. Doch auch dort, wo die Nazis ein Image als »Kümmerer vor Ort« aufbauen wollten und die Gremien mit Detailanträgen zu Abfallentsorgung
oder Spielplatzgestaltung eindeckten, verblasste der Glanz meist sehr schnell. Oft war eine Umsetzung der Forderungen unrealistisch oder gar unmöglich. Den politischen Arbeitsmodus in der Kommunalpolitik haben sich die NPD-VertreterInnen nicht aneignen können. In den Stadtvertretungen von Schwerin und Rostock oder im Kreistag von Nordwestmecklenburg zeigten sie sich viele von ihnen nicht mal regelmäßig.
Dennoch war die erhoffte »Entzauberung« der neuen Rechten nicht der einfache Handstreich, für den ihn einige PolitikerInnen der demokratischen Parteien gehalten hatten. Vor fünf Jahren wurde der Vorwurf laut, die NPD habe an kommunaler Politik gar kein Interesse, sondern wolle die Gemeindevertretungen und Kreistage nur als eine weitere Bühne für radikale Stimmungsmache nutzen. Daraufhin bemühten sich viele NPDler, sinnvoll aussehende Anträge zu stellen, persönliche Präsenz in den Sitzungen zu zeigen, in möglichst viele Ausschüsse gewählt zu werden oder gar Bürgersprechstunden abzuhalten. Dies alles sollte Bereitschaft und Befähigung zu gründlicher Sacharbeit vermitteln. Doch es blieb häufig bei Simulationen: mit möglichst geringem Aufwand möglichst viele Anträge vorweisen. Auf die Arbeit im Detail, beispielsweise in den Ausschüssen oder bei der anstrengenden Kompromissfindung im Plenum, verzichteten die Nazis lieber, denn damit ließen sich nur schwer öffentlich wahrnehmbare Arbeitsnachweise generieren. Mit dutzenden gestellten Anträgen und kalkulierten Skandalen ließ sich dagegen ohne größere Anstrengungen eine auf den ersten Blick stattlich wirkende Bilanz vorweisen. Ein Interesse für die politischen Gremien, die jenseits des Stammtisches nicht sichtbar waren, entwickelte die Partei ausschließlich dann, wenn sich eine Einmischung öffentlichkeitswirksam ausschlachten ließ.

Sinnvolle Gegenmaßnahmen
Doch auch die Strategien zum Umgang mit den Neonazis konnten eine Legislaturperiode lang auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden. Die strikte Ablehnung aller Anträge der Neonazis hat sich dabei besonders bewährt und hat – dort wo sie praktiziert wurde – dafür gesorgt, dass der Missbrauch der Gemeindevertretungen und Kreistage für antidemokratischen Propaganda auf ein Mindestmaß beschränkt werden konnte. Weitaus größere Erfolge konnten jedoch dort erzielt werden, wo die lokale Bürgergesellschaft als Ganzes zusammengehalten und Eigeninitiative zur Aufklärung über und Prävention vor rassistischer und rechtsradikaler Mobilmachung entfalten konnte.
Lokale Bündnisse aus Politik und Zivilgesellschaft – ob zum Protest gegen Naziaufmärsche oder für ein Familienfest an der hiesigen Flüchtlingsunterkunft – können zentrale Akteure innerhalb und außerhalb der Parlamente sein. Sie können Kooperation und Vernetzung vorantreiben und Ressourcen bündeln, die Reaktionen auf zukünftige Gefahren durch Nazis und Rassisten erheblich vereinfachen und langfristig einen positiven Einfluss auf das Gemeinwesen ausüben. Nur so lassen sich die politischen Strategien der Neonazis durchkreuzen und damit langfristig auch Wahlerfolge für Parteien wie die NPD verhindern.
Die von vielen erhoffte Entzauberung der Rechtsradikalen kommt nicht von allein, sondern kann nur das Resultat beharrlicher demokratischer Aufklärungsarbeit sein. Dies zeigt sich einmal mehr in Zeiten des Wahlkampfes. Dort, wo zivilgesellschaftliche Bündnisse vor Ort aktiv sind, ist es vielfach gelungen, den Vormarsch der NPD zumindest einzudämmen.

Wahlkampf auf Hochtouren
Seit etwa Anfang März kann der NPDWahlkampf als eröffnet betrachtet werden und damit auch in diesem Jahr deutlich früher als bei anderen Partei
en und natürlich deutlich provokativer. Mit einer ganzen Serie von Kleinstkundgebungen und Infoständen in der Region um die Mecklenburgische Seenplatte lief die Maschinerie an. Die Kundgebungen wurden auf andere Regionen ausgeweitet und es kam wie schon so oft zu Übergriffen auf GegendemonstrantInnen. Diese erste Wahlkampfrunde mündete in einem als »Bürgerprotest« getarnten Aufmarsch am 22. März in Ueckermünde, zu dem etwa 240 Neonazis – vor allem aus der Region – anreisten. Aus diesem Anlass versuchten lokale Kader, das altbekannte Label Schöner und sicherer Wohnen zu reaktivieren, um den Anschein parteilicher Unabhängigkeit zu erwecken. Genutzt hatte es ihnen jedoch wenig. Weder die Polizei noch die Lokalpolitik behandelten den Aufmarsch anders als gewohnt und das Interesse der EinwohnerInnen hielt sich in Grenzen. Stattdessen regte sich im Vergleich zu früheren öffentlichen Auftritten vor Ort ein deutlich wahrnehmbarerer Gegenprotest.
Schöner und sicherer Wohnen wird auch zur Wahl am 25. Mai antreten und ist damit nicht die einzige rechte Wählervereinigung in der Region. Eine andere nennt sich Wir von hier. Dieser Titel soll die lokale Verankerung herausstreichen und zugleich positive Assoziationen mit anderen politischen Akteuren hervorrufen. Die Gefahr einer Verwechslung mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, wie etwa dem Lokalen Aktionsplan Wir von hier – gemeinsam für unsere Insel auf der Insel Usedom, wird dabei bewusst in Kauf genommen, wahrscheinlich sogar beabsichtigt.

Parteiinterner Kraftakt
Im landesweiten Maßstab zeigte sich aber, dass die NPD nicht überall neue Wege beschreiten kann. In einigen Regionen hatte sie stattdessen alle Hände voll damit zu tun, genügend Kandidaten zu finden. In Nordwestmecklenburg musste etwa das 70-jährige NPD-Urgestein Rainer Schütt reaktiviert werden. Der ehemalige Wismaraner Landtags- und Bundestagskandidat war schon länger nicht mehr zu Wahlen angetreten. Doch um die Liste in diesem Jahr voll zu bekommen, braucht es offensichtlich jeden. So auch Klaus Streif, den Vater des NPD-Funktionärs Tino Streif. Er ist Jahrgang 1949. Für eine Überraschung sorgte die NPD dagegen im Landkreis Rostock. Hier konnte sie ihre Liste von vier auf sieben BewerberInnen ausbauen. Allerdings beruht dieser Boom auf eher zweifelhaftem Personal. So treten hier der bereits in Rostock gescheiterte David Petereit und der wegen eines bewaffneten Überfalls auf einen Jugendclub verurteilte Nils Matischent an. Petereit errang bereits 2009 ein kommunales Mandat in der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock, legte dieses allerdings nach langer Inaktivität nieder.
In anderen Regionen reichen hingegen selbst solche Manöver nicht mehr aus, um den Schein zu wahren. In Schwerin traten 2009 noch drei Kandidaten an, von denen immerhin Bernd Wulff ein Mandat erringen konnte. Doch stand die kommunalpolitische Arbeit der NPD in der Landeshauptstadt anscheinend unter keinem guten Stern. Wulff reichte das Mandat nach langen Fehlzeiten an seinen Nachrücker Günter Wohlert weiter, damit dieser schließlich durch weitestgehende Abwesenheit bis zum Ende der Legislaturperiode glänzen konnte.Zur kommenden Wahl tritt in der Stadt folgerichtig niemand mehr für die Partei an.
In der Summe müssen die Neonazis auf Kreisebene mit 55 KandidatInnen einen leichten Rückgang gegenüber den 60 BewerberInnen der vorangegangenen Wahlperiode verkraften. Wenn man den aktuellen Wahlumfragen Glauben schenkt, dürfen sie keine allzu großen Erfolge erwarten. Viel mehr könnte die Wahl für die NPD zu einem kommunalen Abwehrkampf werden: zumindest in drei Landkreisen stehen mit dem Fraktionsstatus – ab vier Mandaten – auch relevante finanzielle Einnahmequellen für die notorisch klamme Partei auf dem Spiel.