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«Sechs Millionen sind nicht genug»

vom 25. März 2009 in Kategorie: Artikel

Die Ereignisse in der Müritz-Stadt sind nur ein Beispiel für die drei Dutzend antisemitischen Vorfälle in den letzten zwölf Monaten. Friedhöfe in Demmin und Neustrelitz wurden geschändet, ein Gedenkstein in Teterow beschädigt, das Haus der jüdischen Gemeinde in Rostock attackiert, Parolen in Malchin und Möllenhagen geschmiert. Antisemitismus ist eines der wesentlichen Ideologieelemente der radikalen Rechten und findet regelmäßig Ausdruck in ihren Aktionen. Schon im Jahr 2002 kam es zu einer erschreckenden Vielzahl von Gedenkstättenschändungen und innerhalb der Szene werden die altbekannten Stereotype in Publikationen oder im Rechtsrock gepflegt. Die aktuellen Ereignisse stellen durch ihr Ausmaß dennoch eine neue Qualität dar. Insbesondere die jüngste Eskalation des Nahost-Konflikts wurde zum Anlass für antisemitischen Aktionismus junger Neonazis und vermehrte Verbalattacken der NPD. Während sich dieser Judenhass einerseits hinter der Maske der Israelkritik versteckt, leugnet oder verherrlicht er den Massenmord des Holocaust und vergeht sich in Gewalttaten ein zweites Mal an den Opfern deutschen Vernichtungswahns.

Erinnerungsabwehr

Die Erinnerung an die Vernichtung des europäischen Judentums durch die Deutschen ist dabei zu einem Fixpunkt des modernen Antisemitismus geworden. In der NeonaziSzene wird das Gedenken an die Opfer etwa als „Holocau$t-Kult“ verhöhnt: Jüdinnen und Juden, heißt es auf einer vorpommerschen Website, würden die Erinnerung nur nutzen, um Macht über die Deutschen auszuüben oder ihnen „möglichst viele Schuldgefühle einzureden und sie so zu neuen Zahlungen zu bewegen“. Damit wird einerseits die deutsche Verantwortung für den Massenmord oder das Verbrechen überhaupt abgestritten Gedenken andererseits als „St. Holockauscht“ diffamiert. Anderswo ist die rechte Szene freimütiger: Eine rechte Schmiererei in Greifswald verkündet „Sechs Millionen sind nicht genug“. Über solche Vernichtungswünsche hinaus schlägt die Erinnerungsabwehr bereits in Aggression um, wenn, wie im Januar in Stralsund, Stolpersteine beschädigt oder jüdische Friedhöfe geschändet werden.

„Brenne, Israel, brenne“

Im Dezember fand sich die Parole „Bomben auf Israel“ an der früheren Synagoge Güstrows. Israel, das sich nicht nur als jüdischer Staat und Zufluchtsstätte für die Betroffenen von Antisemitismus versteht, sondern auch seit 60 Jahren in einem anhaltenden Konflikt mit seinen arabischen Nachbarn befindet, stellt aktuell die beliebteste Projektionsfläche antisemitischer Ressentiments dar. Während etwa NPD-Chef Pastörs im Schweriner Landtag das Land als „Terrorstaat“ bezeichnet, demonstriert seine Anhängerschaft mit antisemitischen Parolen durch die Straßen Güstrows, Stralsunds oder Greifswalds und schmiert Losungen wie „Zionismus zerschlagen“, „Juden raus“ und „Fuck USrael“ an Häuserwände. Wahnwitzige Gleichsetzungen der israelischen Politik mit dem nationalsozialistischen Vernichtungskrieg oder eine Dämonisierung des Landes dienen zudem der Relativierung des Holocaust und der Aktualisierung alter Vorurteile. Gleichzeitig sprechen sie Israel die Existenzberechtigung ab und wünschen seine Vernichtung herbei. Folgerichtig bietet der NPD-Abgeordnete Birger Lüssow in seinem Versandhandel Anstecker mit der Parole „Burn Israel burn“ an.

Phantasien jüdischer Allmacht

Vielfältige Verknüpfungen von AntisemitInnen können jüdisches Leben in Deutschland sowohl mit der Erinnerung an die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, dem Nahostkonflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn wie auch der internationalen Politik und Wirtschaft in einen Zusammenhang bringen: In einer Rede Anfang des Jahres sprach Udo Pastörs über die BRD als von Juden beherrscht, witterte eine globale jüdische Verschwörung und machte sie für die gegenwärtige Finanzkrise verantwortlich. Antisemitismus funktioniert hierbei als ein wahnhaftes Phänomen zur umfassenden Erklärung der modernen Gesellschaft und mündet in Vorstellungen einer jüdischen Weltverschwörung. „Jeden Gedanken, den sie glauben zu fassen, hast du ihnen in den Kopf gesetzt, gut versteckt, fast unsichtbar, hinter dem Mantel von Freiheit und Recht“, textet etwa die vorpommersche Neonazi-Band „Die Liebenfels Kapelle“ und greift dabei Phantasien jüdischer Allmacht auf, wie sie das berühmt-berüchtigte Pamphlet „Die Protokolle der Weisen von Zion“ formuliert. Menschenrechte und Demokratie, heißt es darin etwa, seien neben Hinterlist und Intrige Werkzeuge des Judentums, um die Herrschaft über die Welt zu erlangen. Mit diesem Verweis auf jüdische Täuschungen können offensichtlich widersprüchliche und irrationale antisemitische Vorstellungen erklärt werden, die Jüdinnen und Juden für Kapitalismus wie auch Sozialismus verantwortlich machen oder sie als schwächliche Gestalten wie auch starke und brutale israelische Soldaten zugleich darstellen. Der moderne Antisemitismus in seinen vielfältigen Facetten ist damit mehr als bloß ein Vorurteil gegenüber einer Religion. Indem er jedes erdenkliche Ereignis auf eine jüdische Verschwörung zurückzuführen weiß, stellt er einen Versuch der Deutung der Welt in banal-naiven wie rassistisch-nationalistischen Kategorien dar. Seine Bedeutung für die diversen Ideengebäude der radikalen Rechten darf dabei nicht unterschätzt werden: Durch seinen vermeintlich umfassenden Erklärungscharakter ist er in der Lage, ein Bindeglied der verschiedensten, sich nicht selten widersprechenden Ideologiefragmente bereitzustellen. Am Ende, so die ihm innewohnende Logik, stecke hinter allem irgendwie „der Jude“.

Mörderischer Wahn

Zugleich darf nicht übersehen werden, dass Antisemitismus nicht nur ein Phänomen vom rechten Rand ist. So ergab eine aktuelle Umfrage des Rostocker Vereins Soziale Bildung unter Jugendlichen mehrerer Landkreise Mecklenburg-Vorpommerns, dass mehr als ein Fünftel von ihnen stabile antisemitische Einstellungsmuster aufweist. Wie andere ideologische Elemente der radikalen Rechten finden sich Vorbehalte gegenüber Jüdinnen und Juden auch in der Mitte der Gesellschaft, in allen Parteien, bei Gewerkschaften oder Teilen der Linken. Bei den jüngsten Protesten gegen Israels Militäreinsatz im Gaza-Streifen etwa waren gleichfalls von Teilen migrantischer communities und der Friedensbewegung antisemitische Parolen zu vernehmen: In Rostock setzten einzelne Demonstranten Zionismus und Faschismus gleich und brandmarkten einen Holocaust in Gaza.

Die Geschichte zeigt, dass hinter den Projektionen der Antisemiten keine Enthüllungen über Jüdinnen und Juden stecken, sondern vielmehr eigene unterdrückte Gefühle und nicht zuletzt das Bedürfnis nach Terror. Von den Anfängen bis in die Gegenwart – von Vertreibungen und Pogromen im Mittelalter über Ausgrenzung und Vernichtung im 20. Jahrhundert bis hin zu den fortdauernden Anschlägen auf Gedenkstätten und jüdische Einrichtungen – ist die Geschichte des Antisemitismus begleitet von Gewalt. Sie bildet letztendlich die Essenz eines mörderischen Wahns, der sich als Gerechtigkeit ausgibt.