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“Viele haben sich von der schlimmsten Seite gezeigt”

vom 3. Juli 2017 in Kategorie: Artikel

Jan, eure Gruppe gibt es seit September 2015. Was hat euch dazu bewegt, die Gruppe zu gründen?

Im Herbst 2015 begann die Zahl der Flüchtlinge nach Europa und auch nach Polen zu steigen. Viele Meldungen aus anderen Ländern waren Akte der Solidarität. Zur selben Zeit zog sich durch das polnische Internet eine Welle des Hasses. Viele Polen haben sich von der schlimmsten Seite gezeigt, indem sie Menschenrechte und die Sensibilität für das Leid anderer vergaßen. Mit Entsetzen habe ich festgestellt, dass sich diesmal nicht nur radikale Gruppen sehr negativ gegenüber den Neuankömmlingen verhielten, sondern dass dieses Verhalten immer mehr Menschen betraf. In Gesprächen mit Bekannten traf ich immer wieder auf eine Mauer aus Aggression, Feindschaft und totalem Unwissen. Wir erkannten, dass man irgendwie der Radikalisierung entgegen wirken muss. 

Was sind eure Ziele und was macht ihr konkret?

Grundlegend fokussieren wir unsere Tätigkeit in zwei Richtungen. Erstens bemühen wir uns in und auf die polnische Gesellschaft einzuwirken. Unserer Einschätzung nach ist der Schlüssel für eine wirksame Flüchtlingshilfe eine offene und tolerante Gesellschaft, die zur Integration von Neuankömmlingen aus fremden Ländern und Kulturen bereit und willig ist. Ohne dies helfen nicht einmal die besten Hilfsprogramme und der beste Wille von Seiten der Gesetzgeber. Deswegen organisieren wir Filmvorführungen, Diskussionen, Bildausstellungen, Workshops für Kinder und Erwachsene, und wir planen auch, zukünftig Veranstaltungen in Schulen durchzuführen. 

Unseren zweiten Bereich stellt die Soforthilfe dar. Deswegen haben wir Kleidung, später Fahrräder und elektronische Geräte, die beim Erlernen von Sprachen helfen, gesammelt. Wir haben Spielzeug für Kinder und Schulartikel gesammelt.  Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass man Menschen, die sofortige Hilfe benötigen, jetzt helfen muss, und dass sie nicht auf die Verbesserung der gesellschaftlichen Einstellung warten können. Jedoch ist es uns genauso bewusst, dass nur eine Veränderung der gesellschaftlichen Einstellung eine dauerhafte Lösung darstellt, die den Neuankömmlingen eine Chance zur Integration in die Gesellschaft gibt.

Gibt es auch andere Initiativen, die euch unterstützen?

Aktuell arbeiten wir am aktivsten mit der Stiftung »Ocalenie« (auf deutsch: »Rettung«) und der Initiative »Dom otwarty« (auf deutsch: »Offenes Haus«) zusammen. Im Hinblick auf die Tatsache, dass Szczecin an der polnisch-deutschen Grenze liegt, bemühen wir uns auch darum, eine Zusammenarbeit mit deutschen Organisationen aufzubauen. Wir haben eine Kleidungssammelaktion organisiert und später eine Fahrradsammelaktion, bei der die Fahrräder zu grenznahen Flüchtlingsunterkünften gebracht wurden. Das Ganze geschah in Zusammenarbeit mit den Akteuren von »Perspektywa« aus Löcknitz und »Pasewalk hilft«.

Wie schätzt ihr allgemein die politische Situation in Polen und vor allem in Szczecin ein?

Die regierende PiS ist eine konservative, rechte Partei mit deutlichen pro-katholischen Sympathien. Das an sich bewirkt schon, dass Flüchtlinge, die weitgehend Muslime sind, von den Anhängern der Partei nicht gerne gesehen sind. Darüber hinaus gewährt die PiS noch radikaleren und extremeren Gruppierungen wie »MÅ‚odzież Wszechpolska« (auf deutsch: »Allpolnische Jugend«) und »Obóz Narodowo Radykalny« (ONR) (auf deutsch: »Nationalradikales Lager«) leise Unterstützung. Vor allem die zweite Gruppierung ist offen nationalistisch und hat Verknüpfungen mit vielen rechtsextremen Gruppen in Europa.  Ein Beispiel dafür ist Teilnahme von Deutschen aus der Organisation »Freies Pommern« an rechten Aktionen 2015 und 2016.

Erfahrt ihr Einschüchterungsversuche von Seiten der Rechten?

Bedauerlicherweise kam es im letzten Jahres mehrfach zu Körperverletzungen mit rassistischem Hintergrund in Szczecin. Die Opfer waren hauptsächlich Menschen mit dunkler Hautfarbe. Leider sahen die Strafverfolgungsbehörden in diesen Gewaltakten keine rassistischen, sondern nur Hooliganausschreitungen. Für uns aber stehen die Berichte der Zeug*innen und Geschädigten außer Zweifel. In Bezug auf uns gab es lediglich direkte Einschüchterungsversuche nach einer Aktion am 13. Dezember 2015. An diesem Tag hatten wir eine Kundgebung organisiert, die auf eine sehr heftige Reaktion der extremen Rechten gestoßen ist. Gegen uns sind ungefähr 200 Anhänger der extremen Rechten auf die Straße gegangen. Dies waren hauptsächlich Fans von PogoÅ„ Szczecin und Aktivisten der Allpolnischen Jugend und des ONR.

Zur Normalität sind aber Attacken im Internet geworden. Fast täglich erhalte ich irgendwelche hasserfüllten Nachrichten, die gegen mich oder das, was »Refugees Szczecin« macht, gerichtet sind. Man kann sich jedoch daran gewöhnen und seit längerem beeindruckt mich das nicht mehr sonderlich.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Auf diese Frage würde ich am liebsten antworten, dass wir nicht mehr notwendig sind. Denn das würde bedeuten, dass das System gut funktioniert, Leute, die Hilfe brauchen, diese erhalten, und die Gesellschaft die Neuankömmlinge integrieren will. Leider sind die Chancen dafür eher viel zu gering.

In Stettin leben und arbeiten viele Ausländer. Es wäre lohnenswert, zu zeigen, dass sie die Gesellschaft der Stadt mitgestalten und dass es auf keinen Fall einen negativen Einfluss hat, dass sie ihre von unseren unterscheidbaren Bräuche, Kulturen, Küchen oder Religionen mitbringen. Das Interesse von Polen an den vielfältigen Kulturen der Neuankömmlinge würde die Angst durchbrechen, die die Stereotype in Bezug auf Fremde antreibt.

Wir begrüßen auch immer mit offenen Armen den Willen zur Zusammenarbeit und zum Erfahrungsaustausch mit anderen Organisationen, vor allem mit Organisationen aus Deutschland.